Sonntag, 15. Mai 2011

-Altstadt reloaded-

-Hühnermarkt 22 (FFM) / Hans Kollhoff-

Die Ergebnisse des Wettbewerbs für die Bebauung des Dom-/ und Römerbergs in Frankfurt (Main) dürfte die Diskussion um die Rekonstruktion im deutschsprachigen Raum erneut befeuern. Hier wird zum ersten Mal der Versuch unternommen, auf einem durch den Abriss des Technischen Rathauses freigewordenen Innenstadtareal ein neues 'Altstadt-Quartier' zu bauen. Dieses orientiert sich in Straßenverlauf und Parzellierung weitgehend am Stadtgrundriss der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg. Eine Reihe von zerstörten Bürgerhäusern sollen als Leitbauten rekonstruiert werden. Eine zweite Gruppe, deren Gestaltmerkmale sich an das historische Frankfurter Bürgerhaus anlehnen sollen, komplettiert die Neugründung. Deren Fassaden waren Gegenstand des Wettbewerbs.

Stellvertretend an dem mit einem 1. Preis ausgezeichneten Entwurf Hühnermarkt 22 von Hans Kollhoff lassen sich die Positionen eines erneuten Richtungsstreites um die Rekonstruktion aufzeigen. So wurden kurz nach der Bekanntgabe des Ergebnisses aus den Reihen der Architekturkritik erste Historismus-Vorwürfe laut, auf die Kollhoff in der FAZ vom 12. Mai 2011 mit einer Art Architektur-Manifest reagierte. Hier  dekretiert er die Grundsätze eines neuen zeitgemäßen Bauens und fordert die Rückkehr zu überzeitlichen Konstanten in der Architektur, die aus Eigen- und Neuerungssucht der Architektenschaft seit dem zweiten Weltkrieg aufgegeben worden seien.

Zur Vergegenwärtigung des Gegenstandes aber zuerst zum Entwurf. Dieser sieht einen dreigeteilten Fassadenaufbau mit geschweiftem Dach und durch Putzquaderbänder rustiziertem Sockelgeschoss mit großen rechteckigen Schaufenstern vor. Das auf einer Eckparzelle liegende Haus ist viergeschossig, mit sieben Achsen auf der längeren, zur schmalen Gasse orientierten Seite. Hier kragen die durch Gurtgesimse abgesetzten Geschosse leicht vor, während die zum Platz orientierte, kürzere Seite fünfachsig ist. Deren Mittelachse wird durch Loggien betont, das erste Obergeschoss ist in Manier eines piano nobile durch dorische Säulen mit Balustrade hervorgehoben. Einen asymmetrischen Kontrapunkt am Dach bildet ein Türmchen mit geschweifter Haube, das als Reminiszenz an die Vorkriegsbebauung gedacht ist.

Abb. 1: Entwurf Hühnermarkt 22

Kollhoff tritt in seinem Artikel 
mit dem Gestus des radikalen Neuerers auf, den er sich von seinem erklärten Widerpart, den künstlerischen Advantgarden des frühen 20. Jahrhundert, erborgt hat. Mit diesen teilt er die Methode der Zuspitzung und Vereinfachung, die jeder auf Unbedingtheit setzenden Neuerungsbewegung eigen ist. Damit unterschlägt Kollhoff aber die Komplexität und Widersprüchlichkeit der Architekturgeschichte, die er als Argument anführt. Deren Gänze wäre der neotraditionalistischen Ideologie entgegenzuhalten. Kollhoff nennt seine Entwurfsmethodik tektonisch, also die Sichtigkeit und Ablesbarkeit tragender und lastender Elemente sowie deren Fügung zu einem geordneten und rationalen Aufbau in Baukörper und Fassade. Dieses hätte die Architektur seit der Renaissance bestimmt und im Laufe der Jahrhunderte eine zunehmende Verfeinerung erfahren. Diese Tradition hätte aber seit etwa hundert Jahren die Moderne mit ihrem Hang zum künstlerisch-komponierten und skulpturalen Bauen zerstört. Der von Kollhoff aufgebrachte Gegensatz ist aber nichts anderes als das Begriffspaar monumental versus malerisch, von dem gerade die Architekturdiskussion der unmittelbaren Vormoderne im 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts bestimmt war.(1) Speziell der späte Historismus, gegen den sich die spätwilhelminische Reform, Keimzelle der Moderne in Deutschland, richtete, hatte aber einen außerordentlichen Hang zum skulptural Komponierten, worauf ein Blick auf die Villa der Zeit um 1900 in all ihren bizarren Umrissen und Formenreichtum genügen dürfte. Der Anfang war also genau umgekehrt.
Wer zudem schon einmal vor einem italienischen Palazzo der Zeit zwischen Renaissance und Neoklassizismus stand, sei es in Florenz oder Triest, der weiß, dass gerade diese Architektur gewisse Dimensionen braucht, um ihre ganze intendierte Wirkung zu entfalten. Nördlich der Alpen stand aber die weitgehend aus dem Mittelalter kommende Parzellierung in kleinteiligen insulae einem solchen Repräsentationsgedanken schon immer entgegen. Gerade die schönsten Beispiele des Bürgerhauses in Deutschland haben aus dieser Not eine Tugend gemacht. Es entstanden nicht nur 'zu kleine' Neubauten, oft wurden sogar noch mittelalterlichen Hauskernen barocke Fassaden wie kommod geschneiderte Kleider übergeworfen. Wer sich beispielsweise Bamberger Bürgerhäuser des 18. Jahrhunderts genauer ansieht, der wird fasziniert sein von diesen ganz unprätentiösen Hausgebilden, die speziell durch ihr Dekor und Farbigkeit, trotz aller Ordnung, eine beinahe zauberhaft flirrende Leichtigkeit ausstrahlen. Zu vermuten ist, dass diese Aura gerade in zeitlicher Distanz entstand. Somit hätte auch Schönheit einen Zeitkern, einmal verwendete Formen sträubten sich gegen ihre stetige Verfügbarkeit. Auch zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an das Diktum, real verlorene Tradition sei nicht ästhetisch zu surrogieren.(2)

Hühnermarkt 22 ist tatsächlich nicht historistisch. Jede Spur eines wie auch immer benennbaren Stils der Vergangeheit ist getilgt. Kollhof hat Ernst gemacht mit seinem Versprechen auf ihren Wesenskern reduzierte Architektur.  Und vielleicht gerade deshalb wirkt der Entwurf seltsam entrückt und leblos, dabei zugleich pedantisch wie gestelzt. Ein weiterer Grund dafür könnte sein, dass der Reiz der vielerorts untergegangenen Altstädte, von der uns Fotos nur ein schwaches Bild geben können, gerade im Fehlen eines durchwaltenden Geistes lag. Wie die Stadt in ihrer Gesamtheit war auch das zu ihrer Einheit addierte Einzelhaus ein durch und durch geschichtliches Produkt, in dem sich alle Widersprüchlichkeit vergangener Nutzungen abgelagert hatte, in Teilen oder als Ganzes überformt, ausgetauscht und ergänzt. Deren athmosphärische Dichte lässt sich nicht reproduzieren. Je intensiver das Bemühen desto verfehlter das Ergebnis.
Auch zu bedenken ist, dass längst schon vor ihrem flächenhaften Untergang im zweiten Weltkrieg die Innenstadt kein Idyll im Krähwinkel war, zu dem es die heutigen Altstadtfreunde erwählen. Während in den Gunstlagen Parzellen zusammengelegt wurden, auf denen zumeist übergroße Büro- und Kaufhäuser entstanden, machte sich in den Randlagen Verslumung breit. So waren diese und nicht die Mietskasernen der Stadterweiterung die Orte größten sozialen Elends. Das große Aufräumen mit Flächenabriss, Blockentkernung und Systematisierung hatte schon längst vor dem Krieg begonnen. Was stehen blieb, waren pedantisch gepflegte, teilweise rekonstruierte Fassaden, Objekte der Stadtverschönerung im Zeichen beginnenden Städtetourismus.(3)
  
Abb.2: Hühnermarkt vor der Zerstörung im 2. WK.

Ebenso obsolet ist der Adressat der neuen Architektur, den Kollhoff emphatisch als Stadtbürger beschwört. Er folgt dem aktuellen Bedürfnis nach neuer Bürgerlichkeit. Unwiederbringlich Geschichte ist aber das historische Bürgertum, das noch im 19. Jahrhundert pflegte, sich privat über die Villa und öffentlich über Bauten wie dem Opernhaus selber darzustellen. Grundlage seines Selbstbewußtseins war die ökonomische Selbständigkeit, deren es vom historischen Prozeß beraubt wurde. Die heute auf Bürgerlichkeit abonnierten neuen Mittelschichten, zumeist Beamte oder Angestellte gleich welcher Einkommensschicht, spielen diese nur mit erborgter Geste. Wer heute Wert auf Tischsitten und den Lateinunterricht seiner Kinder legt, exorziert lediglich seine Angst vor dem überall greifbaren sozialen Abstieg.

Einen ganz anderer Umgang mit der Vergangenheit und ihrer Vergegenständlichung in der überkommenen Stadt wird dagegen an Bauten wie Brunnenstraße 9 in Berlin (Arch. Arno Brandlhuber) oder dem Haus zur Rose in Erfurt (Arch. Hans-Joachim Deckert) deutlich. Dieser ließe sich am ehesten mit dem Begriff der correspondance zu umschreiben.(4) Ihr Wesen ist nicht creatio ex nihilo, als Anknüpfungspunkte sind aber nur Dimension und Maßstäblichkeit geblieben. In Ausdruck und verwendeten Mittel sind sie dagegen zugleich sachlich und radikal zeitgemäß. In ihrer Rohheit spiegelt sich Distanz, über die unwiederbringliche Vergangenheit allein noch erfahrbar ist. Und in der die spezifische Geschichte des jeweiligen Ortes besser aufscheint als jeder Versuch einfühlenden Nachahmens.(5)

(1) In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Studie zur Gründerzeitvilla von Brönner, Wolfgang: Die bürgerliche Villa in Deutschland 1830-1900, 2. Aufl., Worms 1994, zu erwähnen.
(2) Adorno, Theodor W.: Über Tradition. In: Kulturkritik und Gesellschaft I. Gesammelte Schriften (Bd. 10,1), hrsg. von Tiedemann, Rolf, Frankfurt/Main 1977, S. 310-320, hier S. 311.
(3) In Frankfurt wurde zum Beispiel die Kleine Fischergasse zwischen 1936 und 1938 ausgekernt, verbunden mit Flächenabriss, Grundrisskorrekturen und Modernisierung der Ausstattung. Harlander, Tilmann: Zwischen Großstadtfeindschaft und Bombenkrieg - Stadtwohnen 1933 bis 1945. In: Harlander, Tilmann (Hrsg.): Stadtwohnen. Geschichte-Städtebau-Perspektiven, Ludwigsburg/München 2007, S. 220-231, hier S. 222.  
(4) Zum an Literatur entwickelten Begriff siehe bei Adorno, 1997, hier S. 316. ". . . In die allgemeine Manipulation sanktionierter Kulturgüter ist das vermeintlich Unverschandelte unterdessen einverleibt; auch bedeutende ältere Gebilde wurden durch Rettung zerstört. Sie weigern sich der Restauration, was sie einmal waren. Objektiv, nicht erst im reflektierenden Bewusstsein lösen kraft ihrer eigenen Dynamik wechselnde Schichten von ihnen sich ab. Das jedoch stiftet eine Tradition, der alleine noch zu folgen wäre. Ihr Kriterium ist correspondance. Sie wirft als neu Hervortretendes, Licht aufs Gegenwärtige und empfängt vom Gegenwärtigen ihr Licht. Solche correspondance ist keine der Einfühlung und unmittelbarer Verwandtschaft, sondern bedarf der Distanz. Schlechter Traditionalismus scheidet vom Wahrheitsmoment der Tradition sich dadurch, dass er Distanzen herabsetzt, frevelnd nach Unwiederbringlichem greift, während es beredt wird allein im Bewusstsein der Unwiederbringlichkeit. . ."
(5) So war die Rosenthaler Vorstadt, in der Brunnenstraße 9 steht, während der beginnenden Großstadtwerdung eines der größten Elendsquartiere Berlins. Diesen ungeordnet provisorischen und proletarischen Charakter hat das Viertel nie verloren. Zur Geschichte siehe vor allem Geist, Jonas und Klaus Kürvers: Das Berliner Mietshaus, Bd. I: 1740-1862, München 1980. Wenn eine Neotraditionalist wie Tobias Nöfer hier Repräsentationsarchitektur baut, verfälscht er gerade mit Berufung auf Geschichte diese. Erfundene Tradition tritt an die Stelle vergegenständlichter und erfahrbarer Vergangenheit. Vgl. http://www.dabonline.de/2011-03/„das-sieht-einfach-gut-aus“/

Abbildungsnachweis:
(1) http://www.fr-online.de/frankfurt/fotostrecken-frankfurt/-/1474580/8263416/-/view/asFitMl/-/index.html
(2) http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Frankfurt_Altstadt-Huehnermarkt-1900.jpg&filetimestamp=20080106012157

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