Samstag, 8. Oktober 2011

Stadtlektüre - Krim 2

-JALTA/RHYTHMEN der FREIZEIT-

Die naturräumliche Gunstlage Jaltas an der Südküste war die Voraussetzung für die steile Karriere, welche die Stadt im ausgehenden 19. Jahrhundert zu einem der berühmtesten Badeorte Europas machte. Wesentlich für die herausragende Bedeutung gegenüber den übrigen Kurorten der Krim war die Wahl der Zarenfamilie, ab 1855 ihren alljährlichen Sommerurlaub in der Nähe der Stadt zu verbringen.(1) Bald folgten mit Adel und Großbürgertum die Eliten Russlands, bis aber auch hier mit dem ersten Weltkrieg die erste, vor allem großbürgerlich geprägte Blüte des Fremdenverkehrs endete. In sowjetischer Zeit zog dann der Massentourismus ein, als sich unter südlicher Sonne die Arbeiterklasse für kommende Produktionsschlachten stählte. Zur Bekanntheit hat zudem die im ehemaligen Zarenpalast Liwadija abgehaltene Konferenz von Jalta 1945 beigetragen, während der die bis zum Ende des Kalten Krieges währende Nachkriegsordnung festgelegt wurde.

Abb. 1: Die Promenade als unterste Terrasse des Jaltaer 'Amphitheaters'.

Die bogenförmige Küste um Jalta ähnelt einem zwischen die Massive des Aj-Petri und Nikitskaja-Jajta gespannten Amphitheater. Über dem von einem schmalstreifigen Steinstrand begleiteten Meer steigt eine bewegte Abfolge von Terrassen auf. Deren erste ist die Promenade, welche die Bucht nachzeichnet und zugleich das Rückgrat der disparaten Stadtgestalt Jaltas bildet. Dahinter folgen teils bebaute, teils dicht bewaldete Hügel und Plateaus, während der beinahe kulissenartig wirkende Hintergrund durch die Kette der bisweilen wild gezackten Gipfel des Krimgebirges bestimmt wird.

Vermutlich bestand bereits zur Zeit der griechischen Antike eine Stadt an heutiger Stelle, die erste urkundliche Erwähnung findet sich aber erst im 12. Jh. unter dem Namen 'Dschalita' durch den arabischen Geografen Al-Idrisis. Im 14./15. Jahrhundert wird der Ort von Genuesern Kalita genannt, der ab 1475 bis zur russischen Annektierung osmanisch wurde. Jalta war zu dieser Zeit eine kleine Hafenstadt ohne große Bedeutung. Dies änderte sich erst nach 1837, als die Stadt im Zuge der inneren Kolonisierung über eine Gebirgsstraße an die neue Hauptstadt Simferopol' angeschlossen wurde, die über Alushta bald bis Sevastopol' führte. Ein weiterer Impuls für das Stadtwachstum wer der Hafenausbau, so dass Jalta bald zur Kreishauptstadt ernannt wurde. Der Aufstieg setzte dann mit dem Funktionswandel zum Kur- und Badeort ein. Baulich-räumlich schlug sich das zuerst am Bau der Uferbefestigung nieder, hinter der eine zumeist geschlossene Straßenwand aus Cafes, Geschäften, Restaurants und Nachtklubs für die adelige und bürgerliche Oberschicht errichtet wurde.

Abb. 2: Die Promenade während der Belle Epoque.


Rückwärtig an den Berghängen entstanden dagegen vor allem entlang des Utschan-Su-Flusses inmitten ausgedehnter Gartenanlagen Villen, Wochenendhäuser und Sanatorien. Ein weiteres Element, das zum Eindruck einer großzügigen Parklandschaft beiträgt, sind die öffentlichen Parkanlagen. Den dritten Bereich stellt im Osten das Hafenquartier mit Speichern und Wohnquartieren der Arbeiterschaft dar. Somit war bereits um die Jahrhundertwende dieTrennung der Stadt in verschiedene Sektoren erkennbar, welche Jalta im Wesentlichen bis heute prägt.
Die letzten Jahrzehnte vor dem ersten Weltkrieg bildeten wohl den Höhepunkt der Stadtgeschichte Jaltas und waren durch schnellen Aus- und Umbau gekennzeichnet. Die Promenade erhielt durch sukzessiven Ausbau ihre herausragende Stellung und fand mit dem 1907 erbauten Hotel Oreanda von A. Beketov ihren eindrucksvollen Abschluss im Südwesten. Ebenfalls zum für die Epoche prägenden Bautypus des Grand Hotels gehört die Villa Elena (1912) von A. Khotelov, die noch aufwändiger, aber auch gezierter und verspielter als das Hotel Oreanda wirkt. Zu den neu entstehenden öffentlichen Monumentalbauten zählt das 1907 entstandene Stadttheater von L. Shopovalov  und A.  Khotelov. Bedeutendster Architekt der Epoche war aber Nikolaij Petrovich Krasnov (1864-1939), der nach seinem Studium in Moskau bereits mit 23 Jahren Stadtarchitekt wurde. In seine Zeit fällt der Ausbau der Uferbefestigung 1886-89, die 1909/10 zur Uferpromenade ausgebaut wurde. Des Weiteren errichtete er zahlreiche Villen, Gutshöfe und Paläste, so unter anderem den Liwadija-Palast (1904 Planung, Bauzeit 1910-12).
Prägender Bautyp für die Erholungs-Landschaft der südlichen Krim dürfte aber das Sanatorium sein, das je nach Zeitstellung einer unterschiedlichen Typologie folgt, die eng mit der von Hotel und Krankenhaus verknüpft ist.(2) Der Hybridcharakter der Bauaufgabe war insbesondere in der erste Phase bis zum ersten Weltkrieg besonders ausgeprägt. Entsprechend der sozialen Stellung der Nutzer war das Sanatorium eine Mischung aus Grand-Hotel, Sommervilla und krankenhausähnlichem Erholungsheim, in Verbindung mit zumeist ausgedehnten Parkanlagen. Neben Bereichen für medizinische Anwendungen und den Wohnräumen gab es auch Räumlichkeiten für die angemessene Selbstdarstellung der temporären Bewohnerschaft. Die Anlagen waren zumeist zwei- bis dreigeschossig und bestanden meistens aus einem Hauptbau mit angeschlossenen Seitenflügeln. Das Haupthaus hatte meistens  eine zentrale Diele mit repräsentativer Treppenanlage, in dessen Erdgeschoss sich Empfang, Bibliothek, Speiseraum und Musikzimmer befanden, daneben oft noch ein Herren- oder Damenzimmer. Im Obergeschoss lagen die Schlafräume für die Bewohner, während in den Seitenflügeln Behandlungsbereiche und Personalwohnräume waren, die sich weitgehend entlang zweibündiger Korridore erstreckten. Die individuellen Wohnbereiche der Bewohner waren oft durch Balkone oder Terrassen nach außen geöffnet, die Fassaden folgten den Dekorationsschemata des ausgehenden Historismus oder den Reformtendenzen des frühen 20. Jahrhunderts. Die von südlicher Flora wie Zypressen, Palmen oder Zitronen bestimmten Parkanlagen gliederten sich  oft durch ein ausgedehntes organisches Wegesystem und wiesen Stationen wie Musikpavillone, Gartenlauben, Wasserspiele oder Skulpturengärten auf.

Abb. 3: Ende der 1920er Jahre erbautes Sanatorium Dolossy. 

Nach der Oktoberrevolution wird die Stadt von einem Erholungsort der Oberschichten zu einem Stählungsort der Arbeiterklasse. Paläste und Villen werden zu Sanatorien und Erholungsheimen der staatlichen Kombinate. Bis 1940 entstanden so 42 Sanatorien für ca. 5.500 Personen. Erstes Sowjet-Sanatorium war das 1928 erbaute 'Dolossy' auf einem Plateau oberhalb der Stadt. Die viergeschossige Hauptfassade ist in Richtung Meer orientiert und rasterförmig strukturiert. Den gereihten Einzelzimmern vorgelagert sind Sonnenterrassen, Kennzeichen des modernen Krankenhausbaus. Der Aufbau mit Seitenrisaliten und rustiziertem Sockelgeschoss folgt aber noch traditionalistischen Schemata und verweist bereits auf den stalinistischen Neoklassizismus, während zeitgleich in der Sowjetunion durchaus noch konstruktivistische Architektur gebaut wurde. Sowjetisches Bauen gleich welcher formalen Präferenz folgt aber dem Primat des Kollektiven. Der Aufenthalt wird von Kombinaten und Betrieben organisiert und folgt einem strikt reglementierten Rhythmus. Baulich schlägt sich dies in einer sukzessiven Vergrößerung der Maßstäbe zu zumeist vier- bis sechsgeschossigen Bauformen nieder. Die Funktionsabläufe werden rationalisiert, was sich an der zunehmenden Reduzierung der Flächen in dienende und bediente Flächen zeigt. Das Sanatorium wird zum modernen Hotel.  Die individuellen Wohnbereiche der Bewohner sind aufs Notwendigste reduziert und werden über lange schmale Flure erschlossen, an deren Ende sich kleine Erschließungskerne befinden. Kollektive Funktionen wie Speisesäle, Clubs, Tanzbühnen, Waschanlagen oder Sportclubs befinden sich entweder im Erdgeschoss oder werden in eigene Baulichkeiten ausgelagert, die in den nach wie vor ausgedehnten Parkanlagen liegen. Die Fassaden werden dann seit den späten 1950er Jahren durch rasterförmige Loggien oder Balkone bestimmt, die der strikten Logik der späten Moderne folgen.

 
Abb. 4: Nebeneinander unterschiedlicher Raumstrukturen. Um 1970 errichtetes Kasino einer Ferienanlage an der Uliza Kirowa inmitten einer ausgedehnten Gartenanlage des 19. Jahrhunderts.

Die auf Gebäudeebene erkennbare Tendenz zu stetiger Erneuerung zeigte sich auch im städtischen Maßstab. Beinahe durch die gesamte Sowjetzeit zog sich der Versuch, die bislang eher ungeordnete und disparate Stadtstruktur Jaltas umfassend neu zu ordnen, zu überformen und in seiner Erscheinung zu überhöhen. Dies geschah zuerst mit den Mittel des Neuklassizismus stalinistischer Prägung, etwa ab den 1960er Jahren dann in Formen der späten Moderne. Allen diesen Planungen ist aber gemeinsam, dass sie nur in Teilen realisiert wurden, was den immer schon fragmentarischen Charakter der Stadtgestalt fortschrieb.

Abb. 5 Geplante Überformung der Ufersilhouette mit futuristisch anmutenden Solitären (Planstand 1980,  Arch.: Kollektiv Sudenikin und Demidow). 



Zwischen 1935-37 wurde ein Generalplan durch das Architekturstudio Nr. 3 unter der Führung von M. Ginzburg für den gesamten Küstenraum der Krim erstellt. Für den Teilraum der südlichen Küste um Jalta/Alupka/Mischo bearbeitete Ivan Leonidov, der Teil des Kollektivs war, im Jaltaer Stadtgebiet vor allem das Areal um den Darsan-Hügel. Hier sollten in das landschaftliche Relief eingearbeitete Großformen mit Fernwirkung entstehen. Nach der deutschen Besetzung 1942 und der Befreiung 1944 durch die rote Armee wurde 1946 ein Plan zum Wiederaufbau von A. Burov vorgelegt, um die partiellen Zerstörungen der Stadt durch eine großzügige Überformung zu beseitigen. Vor allem um den Hafen waren Veränderungen vorgesehen. Etwa ab den 1960er Jahre folgten dann Planungen großmaßstäbliche Einzelbebauung auf den Hügel mit deutlicher Zeichenwirkung. Die Silhouette sollte monumentalisiert und die Infrastruktur modernisiert werden. Neben Bauten des Tourismus entstand aber auch Wohnbebauung. Wichtige öffentliche Bauten waren beispielsweise das Saturn-Kino mit dem Platz der Sowjets (1965-70) oder der Busbahnhof 1966 von Chakhava. Der Hang zum großen Maßstab erfuhr auch gegen Ende der Sowjetunion eine Fortsetzung und zielte nun auch auf die Entwicklung des gesamten Küstenstreifen zu einer weitläufigen Stadtlandschaft. Um 1980 wurden Entwicklungspläne für die Region Groß-Jalta durch das Architektenkollektiv um A. Studenikin und E. Demidow vorgelegt. Uferzone und Hügelkuppen sollten durch große Solitärbauten eine beinahe futuristisch anmutende Silhouette erhalten. Realisierte Projekte sind das Hotel Jalta von Anatoli Poljanski (1980, 3000 Betten) oder das Feriensanatorium Drushba (1985 von I. Wasilewski/ J. Stefantschuk). Während das erste Beispiel mit kastenartiger Wucht ins Jaltaer Amphitheater hineinwirkt, ist der zweite Bau besonders artifiziell und ein Beispiel einer in der späten Sowjetunion verbreiteten Spielart regional ausdifferenzierter Spätmoderne. Die gemeinschaftlich genutzten Bereiche wie Speisesaal, Kino, Cafe oder Pool befinden sich in der Mitte, während die Wohnzellen an der wabenartig gezackten Außenseite liegen.

 Abb. 6: Hotelkomplex Drushba 


(1) Seit dem Regierungsantritt Alexanders II. verbrachte nahezu alljährlich die Zarenfamilie ihre Sommerfrische in den nahe der Stadt gelegenen Palästen Liwadija und Massandra. Jobst, Kerstin S.: Die Perle des Imperiums. Der russische Krim-Diskurs im Zarenreich, Konstanz 2007 (=Historische Kulturwissenschaft 11),  S. 317.
(2) Zu den beiden Phasen der Entwicklung des Sanatoriums siehe vor allem Hofer, Andreas: Destination Kurort: Erholung und Tourismus auf der Krim. In: Hofer, Andreas, Klaus Semsroth und Bohdan Tscherkes. Institut für Städtebau, Landschaftsarchitektur und Entwerfen der Technischen Universität Wien (Hrsg.): Urbane Metamorphosen für die Krim, Wien 2006 (=Stadt und Raumplanung 1), S. 61-63.

Weblinks:
Aufsatz von Monica Rüthers zu Repräsentationen von Stadt und Landschaft in Jubiläumsbänden zur sowjetischen Architektur, in denen auch am Mythos Krim als arkadischer Landschaft weitergearbeitet wurde:
http://www.werkstattgeschichte.de/werkstatt_site/archiv/WG51_073-097_RUETHERS_KUHSTALL.pdf


Abbildungsnachweis:
Abb. 1: Foto des Verfassers, Juli 2011.
Abb. 2: http://www.opendemocracy.net/od-russia/rosamund-bartlett/remembering-chekhov-in-yalta
Abb. 3: Postkarte des Sanatoriums Dolossy aus den späten 1920er Jahren: http://www.ebay.com/itm/Russia-Ukraine-Crimea-YALTA-Sanatorium-Dolossy-Vintage-/190564314166 
Abb. 4: Foto des Verfassers, Juli 2011.  
Abb. 5: Fried, Christina und Thomas Pamminger: Die urbane Karriere von Jalta. In: Hofer, Andreas, Klaus Semsroth und Bohdan Tscherkes. Institut für Städtebau, Landschaftsarchitektur und Entwerfen der Technischen Universität Wien (Hrsg.): Urbane Metamorphosen für die Krim, Wien 2006 (=Stadt und Raumplanung 1), S. 50f.
Abb. 6: Fotografie von Frederic Chaubin. http://archisign.blogspot.com/2011/03/erholungsheim-druschba-in-jalta.html


Literaturauswahl:
Ascherson, Neal: Schwarzes Meer, Berlin 1996 (deutsche Erstausgabe).
Fried, Christina und Thomas Pamminger: Die urbane Karriere von Jalta. In: Hofer, Andreas, Klaus Semsroth und Bohdan Tscherkes. Institut für Städtebau, Landschaftsarchitektur und Entwerfen der Technischen Universität Wien (Hrsg.): Urbane Metamorphosen für die Krim, Wien 2006 (=Stadt und Raumplanung 1), S: 46-53.
Hofer, Andreas: Destination Kurort: Erholung und Tourismus auf der Krim. In: Hofer, Andreas, Klaus Semsroth und Bohdan Tscherkes. Institut für Städtebau, Landschaftsarchitektur und Entwerfen der Technischen Universität Wien (Hrsg.): Urbane Metamorphosen für die Krim, Wien 2006 (=Stadt und Raumplanung 1), S. 58-67..
Schlögel, Karl: Promenade in Jalta. In Schlögel, Karl: Promenade in Jalta und andere Städtebilder, München/Wien 2001, S. 208-218.

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