Donnerstag, 1. September 2011

Stadtlektüre - Krim 1

-MYTHOS VOM SÜDEN-

Einer treffenden Bemerkung von Karl Schlögel zufolge hat "auch Russland sein Land, wo die Zitronen blüh'n".(1)Aber nicht nur dort, sondern auch im Westen stellen sich Bilder von Sonne und Süden, Exotik und Genuss ein, sobald das Wort Krim fällt. Dinge, die gemeinhin nur selten mit Russland in Verbindung gebracht werden. Vielleicht hat aber gerade erst die Unerreichbarkeit während des Kalten Krieges die Halbinsel am Nordrand des Schwarzen Meeres zu einem Ort beinahe mythischen Charakters für den Westen gemacht.


Abb. 1: Darstellung der Krim in Meyers Konversationslexikon (um 1888).

Seit jeher ist die Krim eine Zone am Rand und eine im Übergang, Ort des Zusammentreffens, aber auch des Zusammenstoßes. Folgt man der famosen Studie Schwarzes Meer von Neal Ascherson dürfte die Krim sogar das Gebiet sein, an dem sich der die gesamte abendländische Geschichte durchziehende Diskurs Zivilisation versus Barbarei gebildet hat.(2)Hier trafen seit dem siebten vorchristlichen Jahrhundert griechische Händlerkolonisten auf skythische Steppennomaden, später byzantinische und oberitalienische Händler auf mongolische Reiter, dann Russen auf Tataren und Osmanen. Gänzlich andere Lebensformen in mal friedlicher, mal kriegerischer Begegnung, welche die nach Sesshaftigkeit strebenden Kolonisten des Westens und des Nordens immer wieder mit der Frage konfrontierten: Wer bin ich? Und wer die anderen? Und auf die sie sich zumeist die beruhigende Antwort gaben: Wir sind überlegen und zivilisiert, die anderen dagegen Barbaren.
Auch in der naturräumlichen Gliederung der Krim finden die Gegensätze ihre Entsprechung. Nur über eine wenige Kilometer breite Landenge mit dem südrussischen Festland verbunden ist die etwa 27.000 km² große Halbinsel in drei Großräume geteilt. Der Norden wird von flacher Steppe bestimmt, während im Süden das etwa 170km breite und bis zu 1545m aufsteigende Krimgebirge einen schmalen, klimatisch besonders begünstigten Küstensaum abteilt. Dies führte bereits früh zur Anlage von Hafen- und Handelsstädten, hier gingen auch die ersten griechischen Kolonisatoren an Land, welche die Halbinsel Tauris nannten. In der Antike spielte die Stadt Chersonnes nahe dem heutigen Sevastopol' die herausragende Rolle in dem linearen Städtesystem entlang der Küste. Die weitere Entwicklung ähnelte der im benachbarten östlichen Mittelmeer. 63 n. Chr. kamen die Römer, aus denen in der ausgehenden Antike die Byzantiner wurden, um 1200 gefolgt von den oberitalienischen Stadtrepubliken Venedig und Genua, die hier Kolonialstädten für den Orienthandel anlegten. 1237 wurde deren Wirkungskreis durch die aus der Steppe hereindrängende Goldene Horde der Mongolen stark eingeschränkt, die das Gebiet schrittweise eroberten und der Halbinsel den Namen Krym gaben. Deren Herrschaft dauerte etwa zweihundert Jahre. Das nun tatarische Land war in eine Reihe von Khanaten aufgeteilt, die auch weiterbestehenden blieben, als das Gebiet 1475 unter den Einfluss des Osmanischen Reichs geriet. Die folgenden Jahrhunderte waren durch den Konflikt zwischen dem nach Süden expandierenden Zarenreich und den Tataren geprägt, an dessen Ende Russland 1783 endgültig die Krim als Teil 'Neurusslands' annektierte. Mit der Eroberung begann auch ein Umbau des Städtesystems. Seit dem Mittelalter und der tatarischen Eroberung lagen die zentralen Orte im militärisch leichter zu verteidigenden Krimgebirge wie der Sitz des KrimkhanatsBachtschyssaraj Neuer Zentralort wurde die etwa in der Mitte der Halbinsel gelegene Neugründung Simferopol', das den Mittelpunkt eines rationalen,  sternförmigen Erschließungssystems bildete, das insbesondere auf die Städte an der Küste abzielte. Diese waren neben bereits bestehenden Siedlungen wie Sudak, Aluschta, Feodossija (ehemals Kefe) oder Jalta auch weitere Neugründungen wie Sevastopol'. Die Küstenregion nahm insbesondere während des 19. Jahrhunderts einen rapiden Aufschwung aufgrund ihrer neuen militärischen, ökonomischen oder touristischen Bedeutung, während ältere, oft krimtatarische Siedlungen im Landesinneren in Stagnation (Bsp. Eski Kırım/Staryj Krym) verfielen oder gar wüst wurden(Bsp. Mangup, Çufut Kale, Orqapısı)



 Abb. 2: Stadtpark mit stilisierter Antikenstaffage in Simferopol', Hauptstadt der Krim.

Heute gehört die Krim zur Ukraine. Trotz dieser eher zufälligen Zugehörigkeit stellt die Halbinsel im nördlichen Schwarzen Meer einen festen Ort auf der mentalen Landkarte dar, die das kollektive Gedächtnis Russlands im Laufe der letzten beiden Jahrhunderte von sich gezeichnet hat. Dieser Ort wird durch mehrere Topoi bestimmt, die ebenfalls wieder um den bereits in der Antike bekannten Gegensatz Eigenes - Fremdes kreisten.(3) Der wichtigste ist der der 'Schönen Krim', der auf das milde, beinahe mediterrane Klima in Verbund mit der dramatischer Landschaft aus Küste und dahinter aufsteigendem Gebirge abhebt. Die Halbinsel erscheint als Sehnsuchtslandschaft und arkadischer Garten, die unter dem Einfluss der weisen russischen Herrschaft den klimatisch rauen Norden und Osten beinahe natürlich ergänzen. Ein weiterer Topos ist die 'Antike Krim'. Russische Herrschaft sollte wie selbstverständlich an die vergangene Griechenlands, Roms und Byzanz' anknüpfen.  In diesem Zusammenhang wird die Verwendung antikisierender Namen bei Neugründungen wie Sevastopol' oder Simferopol' verständlich. Damit verbunden ist die Idee der 'Christlichen Krim'. Hier wird die von den Tataren im 14. Jahrhundert zerstörte griechisch - byzantinische Polis Chersonnes (russ. Korsun) wichtig, wo nach der Legende um 985 der Kiewer Großfürst Wladimir I. getauft wurde, womit die Christianisierung der ostslawischen Völker begann.
Ein weiteren Diskurs bildet die 'Exotische bzw. Orientalische Krim'. Zwar setzte nach der Eroberung eine umfangreiche russische Peuplierung ein, die tatarische Bevölkerung verblieb aber auf der Krim, wenn auch Auswanderungswellen ins Osmanische Reich deren Zahl erheblich verminderte. Die vorgefundenen Fremden und deren Kultur wurde ähnlich dem Orientalismus westlicher Kolonialmächte betrachtet, wobei insbesondere in Literatur und bildenden Künsten oft phantastische Vorstellungen  dargeboten wurden, die mehr mit den Ängsten und Sehnsüchten der Menschen in den Städten des russischen Nordens zu tun hatten als mit den realen Lebensverhältnissen auf der Krim.

 Abb. 3: Mondnacht auf der Krim. 1859 von Ivan K. Ajvazovskij.  Der Topos der 'Schönen Krim' als romantisierende Inszenierung.

Der Blick unde der Zugriff auf die fremd Gebliebenen änderte sich auch nach der Oktoberrevolution nur wenig. Gab es auch zu Beginn der Sowjetunion durch eine geänderte Nationalitätenpolitik Bestrebungen, der tatarischen Bevölkerung mehr Autonomie zu gewähren, so endete diese kurze Phase im stalinistischen Terror der 1930er Jahre.(4) Unter dem Vorwurf der Kollaboration mit den Deutschen wurden1944 die Krimtataren dann kollektiv nach Sibirien deportiert. Erst 1967 erfolgte die Rehabilitierung, die Wiederansiedelung in größerem Umfang wurde aber erst mit dem politischen Umbruch und dem Zerfall der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre ermöglicht. Heute wohnen auf der Krim wieder ca. 280.000 Tataren, die damit ca. 12% der Bevölkerung stellen. Wenn diese Wiederansiedelung weitgehend friedlich verlief, so kam es in den letzten Jahren durchaus zu Konflikten zwischen chauvinistisch-orthodoxen Gruppen und der muslimischen Minderheit, wobei der Mythos der 'christlichen Krim' eine nicht ganz unbedeutende Rolle spielt.(5)

(1) Schlögel, Karl: Promenade in Jalta. In: Schlögel, Karl: Promenade in Jalta und andere Städtebilder, München/Wien 2001, S. 208-218, hier S. 208. 
(2) Ascherson, Neal: Schwarzes Meer, Berlin 1996 (deutsche Erstausgabe), vor allem S. 83-139.
(3) Jobst, Kerstin S.: Die Perle des Imperiums. Der russische Krim-Diskurs im Zarenreich, Konstanz 2007 (=Historische Kulturwissenschaft 11),  S. 131-285.
(4) Mayr, Tanja und Susanne Marenberg: Die Krimtataren - ihre Architektur und Geschichte. In: Hofer, Andreas, Klaus Semsroth und Bohdan Tscherkes. Institut für Städtebau, Landschaftsarchitektur und Entwerfen der Technischen Universität Wien (Hrsg.): Urbane Metamorphosen für die Krim, Wien 2006 (=Stadt und Raumplanung 1), S. 132-145, hier S. 134-138.
(5) Vgl. Czerwonnaja, Swetlana: Islam und Christentum auf der Krim heute: Ein "Kampf der Kulturen"?. In: Kahl, Thede und Cay Linau (Hrsg.): Christen und Muslime. Innerethnische Koexistenz in südosteuropäischen Peripheriegebieten (=Religions- und Kulturgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa 11), S. 327-346, hier v.a. S. 337-343.


Abbildungsnachweis:
Abb.1: http://de.academic.ru/pictures/meyers/large/110683a.jpg
Abb. 2: Foto des Verfassers, Juli 2011. 
Abb. 3: http://artsdot.com/A55A04/w.nsf/OPRA/BRUE-8EWJNE/$File/IVAN-AIVAZOVSKY-A-LUNAR-NIGHT-IN-THE-CRIMEA.JPG


Literaturauswahl:
Ascherson, Neal: Schwarzes Meer, Berlin 1996 (deutsche Erstausgabe).
Czerwonnaja, Swetlana: Islam und Christentum auf der Krim heute: Ein 'Kampf der Kulturen'?. In: Kahl, Thede und Cay Linau (Hrsg.): Christen und Muslime. Innerethnische Koexistenz in südosteuropäischen Peripheriegebieten (=Religions- und Kulturgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa 11), S. 327-346.
Hofer, Andreas, Klaus Semsroth und Bohdan Tscherkes. Institut für Städtebau, Landschaftsarchitektur und Entwerfen der Technischen Universität Wien (Hrsg.): Urbane Metamorphosen für die Krim, Wien 2006 (=Stadt und Raumplanung 1).
Jobst, Kerstin S.: Die Perle des Imperiums. Der russische Krim-Diskurs im Zarenreich, Konstanz 2007 (=Historische Kulturwissenschaft 11).
Kizilov, Mikhail: Post-ottoman cities: Changes in the urban structure of ottoman and tatar crimea after the russian annexation until the crimean war (1783-1853/6). In: Acta Orientalia Academiae Scientiarum Hungarium 59,2 (2006), S. 181-191.
Schlögel, Karl: Promenade in Jalta. In: Schlögel, Karl: Promenade in Jalta und andere Städtebilder, München/Wien 2001, S. 208-218.

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