Mittwoch, 30. Dezember 2009

Tirana - Staatsarchitektur

-Monuments-

Italienische Einflusszeit (um 1930)

Die erste Generation albanischer Staatsarchitektur an der Monumentalachse bilden die nach Entwürfen von Vittorio Morpurgo um 1930 gebauten Ministerien auf der Südseite des Skanderbeg-Platzes.(1) Gegenüber der bauzeitlich noch kleinstädtischen Umgebung wirkte das Ensemble nicht überdimensioniert. Die in eine strikte, Platz bildende Figur eingeschriebenen Gebäude basieren auf einem einheitlichen Gestaltmuster, das insbesondere in der Fassadenstruktur der Typologie italienischer Renaissancepalazzi folgt. Die teilweise in Mittel- bzw. Seitenrisalite gegliederten Baukörper sind dreigeschossig und haben acht bis zehn Achsen. Der Gesamteindruck basiert auf einem Überwiegen des Flächigen, das antikisierende Dekor ist sparsam und aufs Blockhafte reduziert.


Abb. 1 und 2:
Ministerien am südlichen Skanderbegplatz.

Dem typologischen Eklektizismus faschistischer Architektur, bei der in einer Art Moduslehre die architektonischen Mittel nach Bauaufgabe variieren, folgt die reduziert kubische Gestaltung des 1940 nach Entwürfen von Gherardo Bosio errichteten Hotels Dajti, das stark vom italienischen Rationalismus bestimmt wird. Während das überhöhte Sockelgeschoss mit seinen vertikalen Fensterbahnen und blockhaft wuchtigen, profilierten Travertinrahmungen noch ganz im Bann der Tradition steht, löst sich der zurückspringend aufgesetzte, dreigeschossige Obergeschossbereich in ein Raster aus vertikalen und horizontalen Scheiben auf. In die zurückspringende Wand sind die Terrassentüren rahmenlos eingeschnitten. Noch konventionell wirkt die Betonung des oberen Abschlusses in der leicht vorspringenden Dachscheibe.


Abb. 3 und 4:
Hotel Dajti, Eingang und Terrasse mit Zimmertrakt der Obergeschosse


Okkupations- und Besatzungszeit (1939-1944)

Deutlich imperialer wird die Architektur mit der auch formellen Annektierung Albaniens durch Italien 1939, ablesbar an dem in Form des Liktorenbündels gestalteten Achsabschluss um den heutigen Shesi Nene Teresa (ehem. Shesi Italia). Dieser wird von der ebenfalls von Gherardo Bosio entworfenen Casa del Fascio beherrscht, herausgehoben durch das Würdemotiv einer breiten Freitreppe. Der risalitartige, dreiachsige Mittelteil wird von Seitenflügeln eingefasst, die rückwärtig einen Hof umschließen. An der Fassade des belebten, durchgängig aus bossierten Travertin-Werksteinen gefügten Baus sind rationalistische Einflüsse in der kubischen Gestaltung der Baukörper und den scharf aus den Baumassen geschnittenen Wandöffnungen erkennbar, die schwach über dünne Rahmungen plastisch akzentuiert werden. Insgesamt überwiegen allerdings Elemente imperialer Repräsentanz, erkennbar vor allem an der Massengliederung, dem Repräsentationsbalkon im Piano Nobile sowie dem Wechsel zwischen Rundbogenarkaden und rechteckigen Fenstern.(2) Untergeordnet sind die platzbildenden Gebäude unterhalb der casa del fascio, deren Ausdruck deutlich reduzierter wirkt.

Abb. 5:
Ehem. Casa del Fascio (heute Technische Universität, 1938/39 von Gherardo Bosio).

Abb. 6:
Heutiges archäologisches Museum, dahinter das Fußballstadion.

Abb. 7:
Heutige Kunstakademie

Sowjetische Einflusszeit (1948-1960)

Die sozialistische Staatsarchitektur besetzt demonstrativ den bis in die 1950er Jahre freien Raum entlang der in diesem Bereich parkähnlichen Monumentalachse zwischen Regierungsgebäuden und dem Achsabschluss um den heutigen Sheshi Nene Teresa. Wohl in Ermangelung einer nationalen albanischen Tradition sind das Gebäude des ZK des albanischen KP und die sowjetische Botschaft äußerst konventionell im neoklassischen Zuckerbäckerstil sowjetischer Prägung gehalten. Interessant ist die asymmetrische Baumassengliederung des Parteigebäudes, bei welcher der Enver Hodxhas Arbeitsräume demonstrativ herausgehoben werden. Die blockhafte Komposition wird an den Fassaden nur schwach durch bossiertes Sockelgeschoss, eingeschnittene Fensterbahnen und kräftiges Dachgesims akzentuiert. Die Baumasse der sowjetische Botschaft hingegen kennzeichnet sich durch Auflösung in die weitmaschige, vertikale Rhythmik aus wuchtig hervortretenden Pilastern und zurücktretenden Fensterbahnen. Das Gebäude tritt untypisch von der Straße zurück und erhält dadurch einen solitären Charakter, der die Bedeutung des Baus unterstreicht.

Abb. 8:
Ehem. Gebäude des ZK der albanischen KP.

Abb. 9:
Ehem. sowjetische Botschaft (heutiger Sitz des Staatspräsidenten).

Die Abkehr vom sozialistischen Realismus im sowjetischen Einflussbereich wird am Bau der Nationaloper 1960/61 deutlich. Dieser ist Bestandteil des Versuches, die Nordseite des bis dato noch eher kleinmaßstäblichen Platzes um Et'hem-Bey-Moschee und Regierungsgebäuden monumental zu steigern und Tirana durch neue Kulturbauten einen entsprechenden Hauptstadtcharakter zu geben. Zwar orientiert sich der Bau durch breite Freitreppe und vorgelagerte Arkaden noch deutlich an der klassizistischen Tradition, an den aufs glatt Blockhafte reduzierten Details zeigt sich aber eine Annäherung an moderne Bauformen. An den seitlichen Fronten wird durch halbrunde Glasvorbauten die Symmetrie gebrochen. Demonstrativ sind die Eckpfeiler schräg gestellt. Nicht von ungefähr erinnert der Bau an das Parteitagsgebäude der KPdSU in Moskau von 1961 (Architektenkollektiv: Posochin, Mndojanz, Stamo, Schteller, Schtschepetilnikow).

Abb. 10:
Nationaloper (1960/61 erbaut)

Autarkie und später Enverismus (1960-1990)

Mit dem 1981 eingeweihten Historischen Museum fand die Neuordnung des Skanderbeg-Platzes auf der Nordseite ihren Abschluss. Die Architektursprache ist typisch für die sozialistischen Länder in den 1970er und 1980er Jahren. Der Gesamtaufbau wird durch kubisch gegliederten Baumassen geprägt, die klassische Tradition ist noch als ferne Referenz im symmetrischen Gesamtaufbau erkennbar. Die teilweise in Glas aufgelöste Sockelzone tritt zurück. Ein abstraktes Portal- und Säulenmotiv über einer auf die Mitte zutreibenden Freitreppe steht in der Mitte, bekrönt von einem vortretenden Monumentalmosaik, die zeigt, wie stark eine eindeutig interpretierbare bildende Kunst in den Dienst genommen wurde. Ebenfalls abstrahierend erinnern die seitlichen Fenster an vertikale Fensterbahnen klassizistischer Fassadensysteme.
Abb. 11:
Historisches Museum (1981 eröffnet)

Am in den 1980er Jahren erbauten Kongresspalast und an der als Mausoleum für Enver Hodxha erbauten Pyramide sind plastische und geometrisierende Tendenzen der 1980er Jahre ablesbar. Die aufstrebenden Baumassen des Kongresspalastes und deren filigran-organische Konstruktion in Beton erinnern entfernt und unbestimmt an islamische Architektur.(3) Die Geschlossenheit der Pyramide hingegen steht für einen historisierenden Postmodernismus, dem aber jede ironisierende Note abgeht.
Abb. 12 und 13:
Kongreßpalast und Pyramide (in den 1980er Jahren erbaut)


(1) Zur Bedeutung der Architektur bei der Repräsentation neuer, aber auch älterer Nationalstaaten in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg siehe Frampton, Peter: Die Architektur der Moderne, Stuttgart 1983, S. 181-191.
(2) Zur Architektur des italienischen Rationalismus und dessen wichtigstem Werk, der 1936 von Guiseppe Terragni in Como errichteten Casa del Fascio siehe u.a. Frampton, Peter: Die Architektur der Moderne, Stuttgart 1983, S. 175-180. Zun den formal-geometrischen Bildungsprinzipien der Casa del Fascio in Como siehe vor allem Eisenman, Peter: Die formale Grundlegung der modernen Architektur, Zürich/Berlin 2005 (=Studien und Texte zur Geschichte der Architekturtheorie), S.222-237.
(3) Vgl. die sowjetische Architektur in den zentralasiatischen Staaten seit den 1970er Jahren. In der Verwendung 'nationaler' und regionaler Formen kam zunehmende Separationstendenzen zum Ausdruck, die im Zerfall der Sowjetunion endeten. Ronneberger, Klaus und Georg Schöllhammer: Lokale Modernen. Tl.2. Simulakren des Nationalen. Sowjetische Architektur und Städtebau in Zentralasien. In: Archplus 178 (2006), S. 12-17, hier S. 17.

Anmerkung (Okt. 2010): Zum Vergleich sei an folgenden Aufsatz erinnert, der Wandel und Entwicklung der sowjetischen Architektur nach Stalin Tod beleuchtet. Philipp Meuser: "Höhere Qualität mit weniger Kosten". Sowjetische Architektur zwischen Stalin und Glasnost. In: Archithese 5.2010, S. 84-89.

Abbildungsnachweis:
(3)-(8) Foto des Verfassers, Oktober 2009
(10) http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/fc/Tirana-opera-2001.jpg
(11) http://commons.wikimedia.org/wiki/File:ALB_20070720_img_1469.jpg

(12)+(13) Foto des Verfassers, Oktober 2009


Punktuell berichtigt und ergänzt unter Einbeziehung neuerer Forschungsergebnisse im März 2012. Dabei ist vor allem die Indrit Bleta 2010 an der TU Ankara angefertigte Masterarbeit zu politischen Einflüssen auf die Hauptstadtplanung am Beispiel Tiranas zu nennen (Bleta, Indrit: Influences of political regime shifts on the urban scene of a capital city. Case study: Tirana, Masterarbeit, Ankara 2010, http://etd.lib.metu.edu.tr/upload/12612184/index.pdf ), aber auch an den Ausstellungskatalog Adolph Stiller (Hrsg.): Tirana Planen Bauen Leben, Wien 2010 [Ausst.Kat.=Architektur im Ringturm 23].

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