Sonntag, 5. Dezember 2010

Stadtlektüre - New York 8

-TYPEN:5/skyscraper2/volumes-

Die Konsequenz aus der New York City 1916 Zoning Resolution war die Entstehung eines neuen Skyscrapertyps aus dem Geist behördlicher Technokratie und des Investoreninteresses nach maximaler Raumausnutzung. Die Vorschrift besagte mathematisch genau berechnete Rücksprünge ab einer gewissen Höhe, oberhalb der Rücksprünge war auf 25% der Grundfläche eine maximale Höhe möglich.
"Ist Manhattan ursprünglich nur eine Ansammlung von 2.028 Blocks gewesen, so ist es nun eine Ansammlung ebenso vieler unsichtbarer Umrisse".(1) Wieder steht keine Architekturdoktrin oder Theorie am Beginn. Schrittweise werden die Potentiale der Einschränkungen erprobt und seit den 1920er Jahren treten auch Architekten wie Raymond Hood oder Ralph Walker auf, die nun erstmals überregionale Bedeutung und Autorencharakter für sich beanspruchen können. Aber das Neue wird nicht aus genialem Einfall geschaffen, sondern durch vorbehaltloses Akzeptieren der gesetzten Umstände. Die Bauten verlassen aber auch den Bereich des Typischen und gewinnen Individualität, Besonderes ist aus im Allgemeinen wirkenden Triebkräften und Bedingungen entstanden.
Mit dem Illustrator Hugh Ferriss fand sich ein Zeichner, der durch seine atmosphärischen Kohlezeichnungen die architektonischen Potentiale der Verordnung adäquat und wirkungsvoll propagieren konnte. Insbesondere die Wirkung der Baumassen ließ sich durch diese Technik eindrucksvoll darstellen. Wirkten die Skyscraper der ersten Generation gegenüber Chicago noch zweitrangig, so entsteht jetzt eine völlig neue Architektur mit eigenem Ausdruck, der von hier aus ins Land ausstrahlt, selbst wenn anderswo keine baulichen Einschränkungen herrschen.

Abb. 1:
Theoretischer Umriß eines Gebäudes nach dem Zoning Law zwischen Municipal und Woolworth Building.
Zeichnung von Hugh Ferriss.

Schwerpunkt der zweiten Generation des New York Skyscrapers war Midtown Manhattan, was sich mit einer partiellen Bedeutungsverlagerung hin zu diesem Areal verband. Ein zweiter Hochhauscluster neben dem Wall Street Viertel entstand in der Mitte der Halbinsel.
Eines der ersten Gebäude der neue Ära, das Bush Terminal Sales Building (1916-18, Arch.: Helmle & Corbett, 146m), stand noch deutlich in der Tradition des Woolworth Buildings. Auf einer für die damaligen Verhältnisse kleinen Grundstückfläche, nur wenig breiter als die Parzelle eines Rowhouses, steigt der in die Grundstückstiefe entwickelte Baukörper in fein vertikalen Linien auf, bevor der obere Teil sich zuerst an den Ecken abtreppt, um dann nur im letzten Geschoss zurückzuspringen.
Der erste wirkliche Wolkenkratzer auf Grundlage des neuen Gesetzes war das Heckscher Building (1922, Arch.: Warren & Wetmore). Die neuen Vorschriften des Zoning Laws wurden hier noch mechanisch angewandt. Der in seiner Massenwirkung noch etwas ungelenk wirkende Baukörper besteht aus additiv gefügten, aufeinander gestapelten Blöcken. Die Außenachsen der Fassaden sind als eingestanzte Löcher ausgebildet, während die Mittelteile in Vertikalbahnen aufsteigen. Der obere Abschluss als Laterne steht noch in historistischer Tradition.
Ab Mitte der 1920er Jahre wurden die die Potentiale des Zoning Laws deutlicher, so am Barclay-Vesey Building (1926, Arch.: McKenzie, Voorhees & Gmelin Architects, 152m), wenn auch hier der Baukörper noch als massiv aufsteigender Block auf schwach gerichteter rechteckiger Grundfläche ausgebildet ist. Der Bau ist auf allseitig plastische Wirkung der zentralsymmetrisch aufgebauten Baumassen hin konzipiert. Die aufsteigenden Vertikalbahnen sind kräftig akzentuiert und enden im oberen Turm in voluminös geschichteten, zinnenartig plastischen Abschlüssen.

Abb. 2:
American Radiator Building.

Ganz von wirkungsästhetischen Überlegungen im Dienste der Corporate Identity bestimmt ist das American Radiator Building (1924) von Raymond Hood. Durch die Verwendung dunkler, beinahe schwarzer Verblendungsziegel und goldenen, zinnenartigen Abschlüsse der kräftig aufsteigenden Vertikalbahnen bekommt der Bau starke atmosphärische Dichte. Typisch ist die pyramidal abgetreppte Form des Baukörpers. Das vom gleichen Architekten stammende, 1932 fertiggestellte McGraw-Hill Building zeigt erste Einflüsse des International Style auf den bislang in den Einzelformen noch vom Art Deco geprägten Skyscraper. Anleihen der aus Europa importierten neuen Sachlichkeit mit ihrer Betonung der Horizontalen zeigen sich an den optisch durchlaufenden Fensterbändern. 

Videostream: King Kong erklimmt das EmpireState Building.
 
 Im riesenhaften Turm der Zeit um 1930 zeigt sich die überhitzte, von Spekulation geprägte Atmosphäre um den Börsencrash des Oktobers 1929, in dem ein Wettlauf um das höchste Haus der Welt entbrannte. Das Chrysler Building (1930, Arch.: William van Alen) und das Empire State Building (1931, Arch.: Shreve, Lamb&Harmon) sind die beiden bekanntesten Skyscraper der Ära, die allerdings erst während der Great Depression fertig gestellt wurden. Bei beiden Gebäuden wirkt die Vertikale durch exorbitante Höhe, die Abtreppungen nehmen hier eher den Charakter einer feinplastischen Gliederung an. In der dekorativen Spitze des Chrysler Buildings spiegelt sich die Warenästhetik des Automobils als neuem Massenprodukt, während das Empire State Building durch seine schiere Größe Bedeutung erzwingt, der auch etwas Monotones anhaftet.

Abb. 3:
Axonometrie des Rockefeller Centers. 

Krönender Abschluss der zweiten Generation des New York Skyscrapers ist der zwischen 1932 und 1939 entstandene Baukomplex des Rockefeller Centers (Arch.: Raymond Hood), in dem man den monumentalen Geist des New Deals der 1930er Jahre sehen wird.(2) Erstmals wird nicht nur ein einzelnes Gebäude errichtet, sondern ein Hochhausensemble aus aufeinander bezogenen Einzelbauten, die um eine Plaza und einen zentralen, siebziggeschossigen Turm organisiert sind und daher eine starke städtebauliche Wirkung entfalten. Radio City für die die Radio Corporation of America und ihre Schwestergesellschaften NBC und RKO. Eine Stadt der Illusion und Zerstreuung in der Krise. Eine Stadt der Türme in der Stadt der Blöcke. Auf der Fläche von acht Blocks entstanden insgesamt 14 Gebäude, die bis in Ausstattung und Kunst am Bau aufeinander bezogen sind. Die Einzelbauten entwickeln sich auf längsrechteckigen Grundrissen, die eine optimale Besonnung der Innenräume garantieren. Dadurch erhalten die Häuser eine scheibenartige Anmutung, in die kaskadenartig Abtreppungen eingeschnitten sind. Auf kurzer Seite wird die Vertikale durch aufsteigende Fensterbahnen betont, während auf die längeren Seiten flächig sind. Die Verkleidung mit hellem weißen Kalkstein unterstreicht die aufgelöste Massenwirkung.

(1)  Koolhaas, Rem: Delirious New York. Ein retroaktives Manifest für Manhattan, 2. deutsche Auflage, Aachen 2002 (=Arch+ Buch 1), S. 107.
(2) Frampton, Kenneth: Die Architektur der Moderne. Eine kritische Baugeschichte, Stuttgart 1983, S.190..

Abbildungsnachweis:
Abb. 1: Ferriss, Hugh: The Metropolis of Tomorrow, New York 1929. In: Koolhaas, 2002, S. 109.  

Abb. 2: http://www.nyc-architecture.com/MID/MID068.htmhttp://www.nyc-architecture.com/MID/MID068.htm
Abb. 3: http://www.greatbuildings.com/cgi-bin/gbc-drawing.cgi/Rockefeller_Center.html/Rockefeller_Center_Axo.jpg 


Weblinks:
http://www.bc.edu/bc_org/avp/cas/fnart/fa267/20_sky1b.html


Literaturauswahl:
Frampton, Kenneth: Die Architektur der Moderne. Eine kritische Baugeschichte, Stuttgart 1983, S.188-191.
Stern, Robert A. M.: Die Erbauung der Welthauptstadt. In: Klotz, Heinrich (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit Luminita Saban: New York Architektur 1970-1990 [Ausst.-Kat.], Frankfurt/Main 1989, S. 13-45.

Koolhaas, Rem: Delirious New York. Ein retroaktives Manifest für Manhattan, 2. deutsche Auflage, Aachen 2002 (=Arch+ Buch 1), S. 108-249.

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