Samstag, 23. Oktober 2010

Biennale zwanzig zehn

Das Motto People meet in architecture der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig wirkt schwammig, beinahe unverbindlich. Architektur als Ort der Begegnung, wie wahr. Diese programmatische Unverbindlichkeit hat aber auch ein Richtiges. Der Wunsch, das Unübersichtliche heutiger Architekturproduktion auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, erschiene vermessen, was vorherigen Biennalen anzumerken war. Gerade weil die Ausstellung verweigert, generalisierende Tendenzen zu benennen, ist sie gelungen.

Arsenali

Interessantes steht raumweise nebeneinander. Jeder Raum wird nur einer/m Person/Team bespielt. Der Rundgang wird zum Parcours. Rätselhafte Skulptur im ersten Raum, dann ein schauerlicher 3D-Werbefilm von Wim Wenders über SANAAs Rolex Learning Center in Genf. Ein Grund, sich die Reise zu sparen, obwohl der Bau wahrscheinlich, wie alles von SANAA, phantastisch ist. Im nächsten Raum folgt allerlei Bastelei, eine schöne Großskulptur von Anton Garcia-Abril & Ensamble Studio. Ein ins Übermaßstäbliche vergrößerter Träger, zugleich kraftvoll und fragil.

Generell am besten sind die Arbeiten, die die Wirkung des unmittelbar Physischen inszenieren. So der Nebelraum von Transsolar&Tetsuo Kondo Architects, das Wassergespritze von Olafur Eliasson oder die Musikperformance von Janet Cardiff. Ebenfalls toll sind die Arbeiten von Valerio Olgiato, der auf die Unmittelbarkeit architektonischer Formen setzt und sich konsequent jedem Kontext und weiteren Sinnebenen verweigert. Wie Christian Kerez, der einige Modelle in den Arsenali ausstellt. Hier wird die Möglichkeit des Anderen und Verfremdeten durch bloße physische Präsenz architektonischer Strukturen dargestellt.

Abb. 1: Strukturmodell von Christian Kerez

Giardini

Bei den Länderpavillons sind die Beiträge am besten, die sich auf Weniges beschränken und/oder bei denen Nationales nicht (re)präsentiert wird. Leider ist aber die übliche Mischung aus Leistungsschau, Installationen und Modellorgien überwiegend. Noch am besten der dänische, bei dem man einiges über den Metropolitanraum Kopenhagen erfährt. Ganz auf den technikverliebten Nerd, der die starken Reize sucht, setzt der australische Beitrag. Die Besonderheiten der asiatischen Stadt werden einem im japanischen und koreanischen Pavillon nahe gebracht. Der deutsche Beitrag Sehnsucht ist besser als erwartet, bei den Zeichnungen kann man sich gut amüsieren. Und auch ich konnte es mir nicht verkneifen, die Stille des Lagunenblicks im Außenbereich aufzusuchen.
Schön auch der belgische und der niederländische Pavillon, in denen Leere und materielle Nutzungsspuren ausgestellt werden. Interessant ist der israelische Beitrag über Kibbuzim, ländliche Kollektivsiedelungen mit basisdemokratischen Strukturen, die vor allem die Frühzeit des heute mehr denn je um seine Existenz kämpfenden Landes prägten.

Ganz ambitioniert dagegen der englische Beitrag done, der von Wolfgang Scheppe kuratiert wurde. Dessen schönes Buch Migropolis über Venedig und die internationale Migration hatte Erwartungen geweckt. Äußerst materialreich sind dann auch die ausgestellten Dokumente in den Seitenräumen. Sie zeigen am Beispiel von John Ruskins venezianischen Notizbüchern und den Schwarz-Weiß-Fotografien des Vaporetto-Schaffners Alvio Gavagnin die Möglichkeiten der Dokumentation gesellschaftlicher Zusammenhänge mittels Archiven und Inventaren - visual studies zur Bebilderung des gesellschaftlich Vermittelten in der Stadt. Der Pavillon ist in Villa Frankenstein umbenannt, was auf den Horror historistischer Aneignungen, die im 19. Jahrhundert verweist, auch eine Folge des Dokumentierens mittelalterlicher Architektur durch Ruskin. Dieser musste schon erschreckt konstatieren, eine Folge seiner Arbeit seien die an Frankensteins Monster erinnernden, malerisch zusammengebastelten Villen in den englischen suburbs.

Abb 2: In den Raum gehängte Stadtlandschaft aus Styrodur im niederländischen Pavillon

Unbestritten einer der Höhepunkte der Biennale findet sich in der großen Ausstellungshalle. Hier hat Rem Koolhaas seinen Beitrag platziert und hat gleich noch den goldenen Löwen für sein Lebenswerk erhalten. Der Beitrag teilt sich in zwei Hälften. Im unteren Bereich sind die Booklets von OMA ausgestellt, in denen sich das Büro im weitesten Sinne mit dem Thema preservation auseinandergesetzt hat. Der Raum ist ausstaffiert mit bauzeitlichen Möbeln von Paul Troost aus dem Münchner Haus der Kunst, die gleich nach dem Krieg in die Asservatenkammer verbannt wurden. In der nüchternen Umgebung wirkt das anheimelnd-gemütliche Mobiliar des einstigen Dampfer-Dekorateurs fremdartig und wirft wie das daneben platzierte Interieur aus seinem mittlerweile selbst unter Denkmalschutz gestelltem maison a bordeaux (1991) die Frage nach den Eigenschaften auf, die Architektur haben muss, wenn sie von der Gesellschaft als erhaltenswert eingestuft werden soll. Im oberen Teil befindet sich dann die Installation CRONOCAOS, ein Reflexionsversuch über Widersprüche und Blindheiten der Denkmalpflege.

Generell ist jede Arbeit am Bestand, ob historisch bedeutend oder nicht, Uminterpretation statt Neu-Erfindung. Im Spannungsverhältnis zwischen Alt und Neu entsteht ein Werk, das im herkömmlichen Sinn nicht als Leistung eines Einzelnen zu identifizieren ist, sondern bei dem mehrere Raum- und Zeitschichten in einen neuen Zusammenhang gebracht werden müssen. Diese Infragestellung klassischer Autorenschaft ist seit jeher auch eines der Themen von Rem Koolhaas gewesen. Seine Arbeit durchzieht die Gegnerschaft zu einem zentralen Mythos der klassischen Moderne, in dem der Architekten als willenstarker Demiurg auftritt, der unbeirrt von äußeren Zwängen seinen Weg geht und sich seine Freiheit nicht abmarkten lässt. Beinahe ikonisch geworden ist dieses bis heute gern bemühte Selbstbild im 1949 verfilmten Roman 'Fountainhead' (1943 von Ayn Rand). Koolhaas Methode ist dagegen architektonische Konzepte durch Überaffirmation des Bestehenden an einen Punkt zu treiben, von wo aus das Projekt in eine andere, seltsam neuartige Qualität umschlägt. Verfremdung und subversive Übertreibung statt Gestaltung und Verbesserung: "Fuck design!" Sieg des starken, aus dem Programm entwickelten Konzepts über inhaltliche und formale Geschlossenheit. Während es in Delirious New York noch um den Manhattanismus als Programm des Phantastischen als Gegenbild zur europäischen Moderne und in Generic City (S.M,L, XL) um die eigenschaftslose Stadt als Möglichkeitsraum geht, wendet sich Koolhaas in der Ausstellung nun einem Feld zu, das von einer interessierten Öffentlichkeit nur zu gerne zur Gegenspielerin einer als zerstörerisch wahrgenommenen Moderne stilisiert wird: der Denkmalpflege. Nur, Moderne und Denkmalpflege gehören untrennbar zusammen. Ohne flächendeckenden permanenten Wandel kein Wunsch nach Schutzräumen und Reservaten, der im ungünstigsten Fall in Musealisierung oder Rekonstruktionswunsch endet. Diese alten Vorwürfe werden von Koolhaas nun wieder aufgebracht, wenn er die doch etwas phantastisch anmutende Zahl von 4% der Erdoberfläche benennt, in der jegliche Entwicklung und Veränderung verhindert werde. Wie immer bei OMA durch eine erdrückenden Fülle von Informationen unterlegt und eindrucksvoll graphisch präsentiert, wirken diese Thesen ungeheuer suggestiv, halten aber einer genaueren Betrachtung nur teilweise stand. Sicherlich richtig ist die These von der öffentlichen Blindheit gegenüber den Bauten der Nachkriegszeit, die unterschiedslos für Stadtzerstörung oder gar sozialen Verfall verantwortlich gemacht werden. Doch gilt dieses Pauschalurteil eher für die veröffentlichte Meinung als für den Fachdiskurs institutionalisierter Denkmalpflege. Deren Interesse gilt unterschiedslos historisch abgeschlossenen Epochen und damit auch der Nachkriegsmoderne, die beispielsweise in Deutschland, je nach Lage, 1968 (West) oder 1989 (Ost, Auflösung der DDR) endete. Historisch Bedeutendes wie das Berliner Hansaviertel oder die dortige Karl-Marx-Allee ist längst in die Denkmallisten aufgenommen worden. Was allerdings die Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses und den damit verbundenen Abriss des Palastes der Republik angeht, so muss man Koolhaas unumschränkt recht geben. Nur kamen hier die Triebkräfte nicht aus der Denkmalpflege, sondern aus einer interessierten Öffentlichkeit und deren Wunsch nach bereingten Geschichtsbildern, in der die im Stadtkörper sedimentierten Widersprüche getilgt sind.

Abbildungsnachweis:
Abb.1 und 2: Fotos des Verfassers September 2010.

Weblinks:
http://www.labiennale.org/en/architecture/index.html
http://www.sehnsucht-biennale.de/
http://villafrankenstein.com/
http://www.oma.eu/index.php?option=com_projects&view=project&id=1260&Itemid=10



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