Montag, 11. Oktober 2010

Villa Emo

-Vernunft und Landwirtschaft -

Die wohl 1557 bis 1561 von Andrea Palladio bei Fanzolo (TR) errichtete Villa Emo gehört in den Zusammenhang der Erschließung der Terraferma durch die venezianische Oligarchie im Cinquecento.(1) Bedingt durch die beginnende Verlagerung des Welthandels in den Atlantik und den Verlust der Besitzungen im östlichen Mittelmeer an die Osmanen (vgl. Nicosia) begann sich Venedig seinem Hinterland zuzuwenden. Die bislang ausschließlich Handel treibende urbane Nobilität strebt nach Landbesitz und Gutsherrschaft, wozu der alte Feudaladel seit dem 15. Jahrhundert sukzessive ausgeschaltet wurde. Die Landschaft wird umgewandelt, wobei die Villen zu Zentren einer neuen Getreideindustrie werden.(2)

Abb. 1: Grundriss der Villa Emo.

Die Villa Emo ist Mittelpunkt eines neu geordneten ländlichen Territoriums, von ihr laufen strenge Achsen in die Umgebung.(3) Nicht nur die Landschaft, auch das Dorf mit Kirche wird in diese hierarchische Systematisierung einbezogen. Im Gutshaus selbst verschmelzen zwei Komponenten der Villa des Cinquecento: das zugleich nüchterne wie nobel aristokratische Herrenhaus und die Barchesse, der Wirtschaftsbereich aus Ställen und Lagern. Durch die Einbeziehung ins Haupthaus wird die untergeordnete, ökonomische Sphäre, eigentlich architettura minore, nobilitiert, verstärkt durch die an beiden Seiten einer Tempelfront angeordneten Loggien. Breite Treppen sind als Würdemotive dem erhöhten, mittig liegenden Wohnteil vorgelagert, der in Souterrain, Piano Nobile und Attikageschoss gegliedert ist. Ein strenger Pronaos ist in den Baukörper eingezogen.
Der soziale Status des Hausherrn wird durch antike und christliche Zitate zum Ausdruck gebracht, der agrarische Charakter wird aber nicht verdeckt, sondern deutlich ausgestellt. Die Verherrlichung des Landlebens, zugleich dessen Ideologisierung, erfährt insbesondere in der Ausstattung eine Steigerung. Die Malerei von Giamballista Zelotti mit ihren mythologischen Szenen und Figuren stellt die ideengeschichtliche Grundlage der venezianischen Villenkultur dar. Die Villa als Ort der Tugend und des Friedens, die aber zugleich strikt hierarchisch organisiert ist.

Reinhard Bentmann und Michael Müller haben in ihrer manchmal etwas überzeichnenden Studie über die Villa als Herrschaftsarchitektur versucht, diesen ideologischen Charakter der Villa des Cinquecento zu dechiffrieren. "Durch den Ordnungsbegriff unterscheidet sich die Palladio-Villa sowohl vom trivialen Bauernhof oder Gutshaus wie von der lockeren Addition der Einzelglieder in der antiken Konglomerat-Villa."(4) Dazu wird das Decorum des Stadtpalastes auf das Land getragen und in einen neuen Zusammenhang gestellt. Damit beginnt aber eigentlich auch schon die Urbanisierung des Landes, denn der Stadtbürger kann nicht mehr zum Feudalherrn werden. Neben die Ökonomie tritt die Erholung. Und die Flucht. Vor der Stadt - vor die Stadt.

Wenn man in den hohen, durch strikte Geometrie verbundenen Wohnräumen steht und auf die weit geordnete Landschaft schaut, ist man im Mittelpunkt einer unter einen einheitlichen Willen gesetzten Welt. Weite, die Dauerhaftigkeit will und ins Ewige strebt. Wie unendlich humaner wirkt dagegen der ältere venezianische Stadtpalast in seiner engen Verbindung von Wirtschaften und Wohnen, von Handel und Wandel, immer in engem Kontakt zu Stadt und Lagune. In der palladianischen Villa wird vielleicht anschaulich, wie die Reinheit einer geometrischen Idee und die Verherrlichung der Macht zusammenfallen. Ein Zuhause ist in solchen Räumen nicht möglich. Trotzdem hält nach dem Besuch noch lange die Faszination über die eben geschaute ideale Klarheit an.


Abb. 2 bis 5: Axiale Ausblicke - Formalisierte Landschaft.

(1) Neuere Forschung geht von einer Erbauung der Villa 1557-61 aus. Visentini, Margherita Azzi: Die italienische Villa. Bauten des 15. und 16. Jahrhunderts, Stuttgart 1997, S. 265.
(2) Corboz, Andre: Das Paradoxon der historischen Villa. In: Visentini, Margherita Azzi: Die italienische Villa. Bauten des 15. und 16. Jahrhunderts, Stuttgart 1997, S. 9.
(3) Die Villa als Hohheitszeichen und Mitte des neu erschlossenen Territoriums ist typisch für die Landnahme auf der Terraferma durch
die venezianischen Nobili. Bentmann, Reinhard und Müller, Michael: Die Villa als Herrschaftsarchitektur. Versuch einer kunst- und sozialgeschichtlichen Analyse, 2. Aufl., Frankfurt /Main 1971, S. 21.
(4) Bentmann und Müller,1971, S. 31.

Weblinks:
http://www.villaemo.org/

Abbildungsnachweis:
Abb. 1; Umzeichnung Plan durch Verfasser 2010
Abb.2 bis 5: Foto des Verfassers September 2010.

Literaturauswahl:
Visentini, Margherita Azzi: Die italienische Villa. Bauten des 15. und 16. Jahrhunderts, Stuttgart 1997. Zur Villa Emo siehe S.
Bentmann, Reinhard und Müller, Michael: Die Villa als Herrschaftsarchitektur. Versuch einer kunst- und sozialgeschichtlichen Analyse, 2. Aufl., Frankfurt /Main 1971.
Murano, Michelangelo: Die Villen des Veneto, München 1986, S. 240-255.
Wittkower, Rudolf: Grundlagen der Architektur im Zeitalter der Humanismus, München 1986.

1 Kommentar:

  1. Große Artikel und sehr interessant schwarz / weiß Fotos, sie zu bewundern war eine Freude.

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