Dienstag, 28. Dezember 2010

Palatul Parlamentului - Bukarest

Tatsächlich, dieser Bau ist eine entsetzliche Monstrosität, ein Unding. Nicht zu Unrecht galt er daher in der Nachwendezeit als städtebauliches Machwerk, mit dem ein verrückter Karpaten-Diktator sich und sein Regime verewigen wollte. Beim Sturz Ceausescus 1989 stand das damals noch als Haus des Sozialismus bezeichnete Gebäude beinahe noch im Rohbau. Heute ist der Palast nach seiner vorläufigen Fertigstellung Bukarests Tourismusattraktion Nummer 1, in dem nicht nur das rumänische Parlament tagt, sondern auch internationale Kongresse stattfinden wie 2008 der NATO-Gipfel.

Vorwand und Möglichkeit zu einem aufs Ganze gehenden Stadtumbau gab das Erdbeben vom 4.3.1977, das weite Teile der Stadt teilweise stark beschädigte. Vorbilder für die Schaffung eines neuen politisch-administrativen Zentrums fand Nicolai Ceausescu bei mehreren Staatsbesuchen in Fernost, so in China und Nordkorea. Der dortige Personenkult hatte den rumänischen Staats- und Parteichef stark beeindruckt, der seit seinem Amtsantritt 1965 immer auf seine Unabhängigkeit von Moskau bedacht war und daher auch vom Westen hofiert wurde.
Konkret wurden die Planungen für den Palast 1983, den Wettbewerb Bucuresti 2000 gewann die damals erst 26 Jahre alte Anka Petrescu kurz nach Absolvierung ihres Architekturstudiums. Als Standort war der erdbebensichere Uranus-Hügel vorgesehen, der noch aufgeschüttet wurde, um die bereits seit den 1920/30er Jahren virulente Idee einer Stadtkrone zu realisieren.(1) Durchgearbeitete Stadtplanung blieb im Umfeld des Palastes Stückwerk, da die Einzelheiten ganz von den zumeist unberechenbaren Wünschen des Diktators bestimmt wurden, der das Projekt zu seinem Vermächtnis gemacht hatte. Dafür wurde in einer Sporthalle ein 12 auf 12 Meter großes Stadtmodell im Maßstab 1:1000 aufgebaut, an dessen Seiten sich ein Podium mit einer fahrbaren Brücke befand, damit der Diktator und seine Ehefrau Bukarest nach ihrem Willen formen konnten. Nach Anweisung wurden über Nacht ganze Gebäudeensembles abgerissen bzw. versetzt.(2) Eine erste Abrisswelle, quasi als Vorbereitung für den noch relativ unbestimmten Stadtumbau, hatte bereits 1977/78 stattgefunden. Dann wurden ab 1984 systematisch ganze Quartiere für Palast und Monumentalachse frei geräumt.

 Abb. 1:Palast und Monumentalachse als Implantationen im Stadtgewebe.

In Verbindung mit der auf das Gebäude zufluchtenden, mehrere Kilometer langen Prachtboulevard ist der Palast eine Implantation totaler Macht im zerschnittenen Stadtgewebe. Neben diessen, jeglichen Maßstab sprengenden Baugruppen waren weitere Aufweitungen des Stadtkörpers geplant, beispielsweise ein See, was aber aufgrund technischer Probleme nicht realisierbar war. Dieses Ersetzen einer Vollform durch eine Hohlform ist bezeichnend. Weite Ferne statt urbaner Dichte, Architektur der Überbietung und erzwungener Erhabenheit statt Komplexität und Widerspruch des Städtischen.

Der Palast ist ganz auf Fernwirkung konzipiert. Ein großer halbrunder Platz leitet vom Bulevardul Unirii auf das umzäunte Palastareal über. Die übrigen Seiten um das Gebäude sind weiträumig von Bebauung leer geräumt und teilweise parkähnlich gestaltet. Aufgrund ihrer Überdimensioniertheit wirken sie wie Wüsteneien, aus deren Mitte sich der Bau monströs erhebt. Bedingt durch den aufgeschütteten, mehrfach terrassierten Hügel erfolgt die Zufahrt nicht logisch über die Mittelachse bzw. von der Frontseite, sondern, formal ungeschickt, genau über die Ecken des Grundstücks. Der Besucherzugang läuft dagegen über einen seitlich vorgelagerten Hof von Norden her, wobei hier ein ebenerdig liegendes Untergeschoss unter der Sockelzone angeordnet wurde.
Die Grundfläche des Palastes beruht auf einem zum Quadrat tendierenden Rechteck, die Maße betragen 270 auf 240 Meter. Der dreiteilige, 84 Meter hohe Baukörper ist pyramidal nach oben abgestuft und auf frontale Wirkung ausgelegt. Dazu ist das abschließende Oberteil asymmetrisch Richtung Schauseite aufgesetzt, was den Seitenansichten einen störenden und kulissenartigen Charakter gibt. Während der als Sockelzone dienende Unterbau stark durch gestufte Mittel- und Seitenrisalite gegliedert wird, sind Mittel- und Oberteil deutlich blockartiger. Bedingt durch die Größe und den vorgelagerten weit ausgreifenden Würderadius schiebt sich die Präsenz des Baukörpers vor die Wahrnehmung der Fassaden und ihrer Einzelheiten. Die Binnengliederung der Fassaden folgt entgegen den in der Gesamtform angelegten Intentionen keiner klassischen Ordnung und wirkt hybride und willkürlich. Die Flächen sind gleichmäßig rasterartig durchfenstert, wobei die Vertikale durch vorgelegte Pilaster betont wird, die nach oben durch Rund- bzw. Spitzbogenstellung abgeschlossen werden. Eine Art Mezzaningeschoss leitet zum oberen Rücksprung über. Der Mittelrisalit ist durch vorgestellte Säulen mit abschließendem Gebälk als Portal ausgebildet, was aber am gigantischen Baukörper völlig untergeht.
Die Unmöglichkeit, die gigantische Großform zu bewältigen zeigt sich auch im Inneren. Das im Prinzip zweibündige Raumsystem ist um zwei große Innenhöfe organisiert. Um die riesigen Korridore reihen sich nach dem Additionsprinzip Saal um Saal. Aufgrund der schieren Größe konnte es nicht gelingen, logische oder spannungsreiche Raumfolgen aufzubauen, die durch eine wie auch immer geartete Hierarchie geordnet werden. Die durch Größe und Protz auf Überwältigung setzende Architektur schlägt schnell in Langeweile um. Nach dem Durchschreiten des dritten, in irgendeiner historistischen Stilform gehaltenen Prunksaales stellt sich unweigerlich Müdigkeit ein, zudem die wichtigsten Schauräume von Möblierung frei geräumt sind und nur der touristischen Vorführung dienen.
Störend bei der Wahrnehmung räumlicher Einzelheiten wirkt auch der Widerspruch zwischen historischer Anmutung und offensichtlich moderner Konstruktion. Es zeigt sich, dass historische bzw. historistische Architektur eng an die Korrektheit historischer Konstruktionsweisen gebunden ist. So wurden bei einigen Räumen barocker Architektur entlehnte segmentbogige Arkaden verwendet, die aber nicht in ein Gewölbe übergeleitet werden, sondern in eine flach über größere Weite spannende Decke. Oder die Läufe eines barockisierenden Treppenhauses mit Wendelpodest haben keinen durch Bögen aufgelösten Unterbau, sondern spannen frei über mehr als zehn Meter. Hier zeigt sich die Unmöglichkeit eines aktualisierten Historismus, denn der Geschichte entlehntes Material lässt sich nicht verbessern. Fortschritt bedingt Formwandel. 

Abb. 2:Der Palast als Kulisse.

In der überdimensionierten Systematisierung des Stadtraums mit dem Palast als einsamer Stadtkrone zeigen sich zugleich Verachtung und Vergottung von Geschichte. Historie als stadträumliche Ablagerungen, an denen sich vergangene Lebenswelten wie aktuelle Nutzung ablesbar lassen, wurde durch historisch erscheinendes Material aus dem Geist einer aufgeblasenen Klassik ersetzt. Aber letztendlich war nicht der Eingriff in die bestehende Stadt das Problem, sondern der ins Gigantomanische gesteigerte Bruch jeglichen Maßstabs. Denn die Idee der Stadtkrone ebenso wie das Anlegen neuer Boulevards waren schon seit dem Übergang von der kleinteilig und ungeregelt amorphen, postbyzantinischen Stadt zur europäischen Stadt des 19. und 20. Jahrhunderts Bestandteile der Bukarester Stadtgestalt.(3) Der ausgeprägte Palimpsestscharakter, die schon immer charakteristische Offenheit der Ränder sowie die Abwechslung zwischen Voll- und Hohlformen hätten durchaus Ergänzungen, Überformungen oder Korrekturen im Stadtgewebe als möglich oder sinnvoll erscheinen lassen.

Fasst man den Realsozialismus als Versuch der nachholenden Modernisierung an der Weltmarktperipherie dann kann man in der (post)stalinistischen Monumentalarchitektur dieser Staaten auch den Versuch einer Symbolisierung nationaler und staatlicher Selbstermächtigung sehen. Der Staat übernimmt das Regime über die Produktion, der Markt als Verteilungs- und Vermittlungsinstanz wird ausgeschaltet. Die geeignete Architektur zur Verkörperung dieser Idee ist eine klassische, weil sich in ihr sowohl Ewigkeit wie Universalität ausdrücken lassen. Das Gigantomanische des Palasts wäre dann die Pervertierung dieses Gedankens, was den rigorosen Autarkiebestrebungen des Ceausescu-Regimes in den 1980er Jahren entspräche. Rumänien sollte zu internationaler Größe unter der Führung des großen Conducators Ceausescu aufsteigen und sich hierzu weitgehend vom Weltmarkt abkoppeln, wofür Schuldenfreiheit angestrebt wurde. Die Bevölkerung hungerte und fror zur Erreichung dieser Ziele. Zum Bau des Palasts, in den ein Großteil des Bruttosozialprodukts floss, wurden nur rumänische Materialien verwendet, worauf man heute noch stolz ist. Rumänien war im Jahr der Revolutionen 1989 vollkommen ausgepowert, allerdings auch tatsächlich schuldenfrei.

Abb. 3: Versuch der stadträumlichen Korrektur unter dem Leitbild der europäischen Stadt. Wettbewerbsmodell Gerkan, Marg & Partner, 1996.

Während sich heute in Rumänien ein gewisser Stolz über das gigantomanische Projekt eingestellt hat, wurde in den 1990er Jahren noch die Frage nach dem weiteren Umgang gestellt. 1996 wurde ein Wettbewerb ausgelobt, der von Gerkan, Marg und Partner gewonnen wurde. Deren Vorschläge zielten auf die Brechung der symmetrischen Monumentalachse und das Einweben des Areals in einen Teppich aus Großstadtarchitektur, die dem Vokabular der europäischen Stadt des 19. und 20. Jahrhunderts entnommen ist. Hierzu sollte die Stadtkrone mit einer seitlichen Skyline aus Hochhäusern ergänzt werden, die direkt bis an den Palast gezogen werden sollte. Mehrgeschossige Bebauung als Blockrand oder Zeile und großzügig durchgrünte Boulevards vernähen das Areal mit der Stadt und geben den urbanen Maßstab zurück. Neben dieser soliden Versuch einer Stadtreparatur böte sich eine weitere an. Die Umwidmung des Palastes zu einer Art Cesars Palace, einem Las Vegas des Balkans. Bezeichnend ist das Gerücht, das zu den vom Irrwitz des Palastes genährten Mythen gehört, dass Donald Trump den Bau in der Nachwendezeit kaufen wollte, um ihn als riesiges Kasino zu nutzen. Brechung der hohlen Erhabenheit durch Profanisierung und hemmungslose Kommerzialisierung. Ein in den großen Raumbehälter gesetzte Abfolge aus sinnlos heiteren Vergnügungsstätten. Jeder Raum ein anderes Thema. Verschämt europäische Introvertiertheit als komplementäres Gegenmodell zum nach außen gewendeten amerikanischen Strip von Las Vegas.

(1) Vossen, Joachim: Bukarest. Die Entwicklung des Stadtraums von den Anfängen bis zur Gegenwart, Regensburg 2004, S. 262f. 
(2) Vossen, 2004, S. 264.
(3) Grundlegend für eine gründliche Stadtlektüre Bukarests ist die Arbeit von Vossen, Regensburg, 2004, in der alle wesentlichen Schichten der städtischen Entwicklung dargestellt und durch intensiv recherchiertes Kartenmaterial veranschaulicht werden.

Abbildungsnachweis:
Abb. 1: Zeichnung der überformten Innenstadt. In: Vossen, 2004, S. 267.
Abb. 2: Fotos des Verfassers, Dezember 2010.
Abb. 3: Wettbewerbsmodell von Gerkan, Marg und Partner 1996. In: Vossen, 2004, S. 291. 

Weblinks:
http://de.wikipedia.org/wiki/Parlamentspalast
http://www.360cities.net/map#lat=44.42757&lng=26.09169&name=palace-of-the-parliament&zoom=17

http://www.welt.de/politik/article1863551/Die_Frau_die_Ceausescus_Monster_Palast_baute.html

Literaturauswahl:
Ioan, Augustin: Bukarest, das unvollendete Projekt. In: Stadtbauwelt 131 (1996), S. 2048f.
Ioan, Augustin: Das kommunistische Disneyland. In: Stadtbauwelt 131 (1996), S. 2053.
Verseck, Keno: Ceausescu lebt und Bukarest stirbt. In: taz vom 14.7.1994.
Vossen, Joachim: Bukarest. Die Entwicklung des Stadtraums von den Anfängen bis zur Gegenwart, Regensburg 2004. Zum Palast siehe vor allem S. 262-275 und S. 288-292.

Sonntag, 19. Dezember 2010

Early Modernism - Buffalo (NY)

Buffalo, unweit der Einmündung des Niagara in den Eriesee gelegen, war die erste Station an den großen Seen auf dem langen Weg Amerikas nach Westen. Mit dem Beginn der Erschließung des Mittleren Westens durch die Eröffnung des Eriekanals 1825 setzte ein starkes Bevölkerungswachstum ein, so dass Buffalo bis 1900 zur achtgrößten Stadt der USA angewachsen war. Auch nach der Jahrhundertwende setzte sich zuerst die Aufwärtsentwicklung zu einem industriellen Zentrum fort. Allerdings fiel Buffalo nach den großen Stahlkrisen der 1970er Jahren und der Abkoppelung vom großräumigen Infrastruktursystem der Großen Seen wieder auf den Stand von 1900 zurück, so dass die Bevölkerung heute nur noch ca. 270.000 Einwohner beträgt.

Abb.1: 1911 erstelltes Panorama Buffalos um die zentralen Pearl und Church Streets.

Zeugnisse der einstigen Bedeutung der Stadt sind einige Masterpieces des frühen Modernismus, die für ihre jeweilige Bauaufgabe Maßstäbe setzten. Neben den besprochenen Guaranty Building und der Vorstadtvilla Martin House gab es mit dem Larkin Administration Building (1904/6 von F.L.Wright) noch eine weitere Ikone der Moderne, die aber leider bereits 1950 abgebrochen wurde.


DARWIN D. MARTIN HOUSE (Frank Lloyd Wright)

Das 1903/5 für die Familie des Industriellen Darwin D. Martin errichtete Wohnhaus war eines der ersten Präriehäuser Frank Lloyd Wrights. Die Lage im zwar durchgrünten, aber dennoch relativ dicht bebauten Villenvorort widerspricht der landläufigen Vorstellung des Prairie Houses als einem eng mit der landschaftlichen Weite des Mid West verbundenen Wohnhaus. Besonders deutlich wird dagegen das Neuartige des Martin Houses in der von konventionellen Wohnhäusern des ausgehenden 19. Jahrhunderts geprägten Umgebung. Hatte bislang auch in den USA europäischer Akademismus die suburbane Villa als Wohnform der Oberschichten bestimmt, so nahm die Suche nach neuen Formen hier nun erstmals spezifisch amerikanische Formen an. Antrieb war die sowohl in Europa wie den USA spürbare Krise des späten Historismus, deren 'hoher' Stilarchitektur entlehntes Vokabular zunehmend als überlebt empfunden wurde.

Abb. 2.: Martin House von der Straße.

Das hochgradig formalisierte innere Gefüge des Martin Houses basiert auf einem quadratischen Modul, das entlang eines System über- und untergeordneter Achsen entwickelt wird. Dabei ist der Grundriss offen um ein Zentrum organisiert, dem für das Präriehaus typischen Kamin. Der Großteil der Räume ist kreuzförmig angeordnet, Gruppen von im Quadrat angeordneten Stützen gliedern das Raumgefüge. Die geschlossene Wand wird durch dieses Stützensystem aufgelöst.(2) Nach außen artikuliert sich das Gebäude als Gefüge unterschiedlich hoher, horizontaler Baukörper, die sich entlang des Achsensystems entwickeln und durch die für Lloyd typischen flachen Walmdächer bestimmt werden. Dabei werden die Volumina in unterschiedlich gestaffelte Vorzonen aufgelöst, was durch die nach außen tretenden Scheiben und Pfeiler verstärkt wird. Ein Spiel unterschiedlich tiefer Schatten und Silhouetten entsteht.

 Abb. 3: Grundriss des Martin Hauses. Analyseelemente.

Vergleicht man das Gebäude mit älteren Wohnhausbauten Frank Lloyd Wrights wie beispielsweise dem Winslow House (1893, River Forest/Illinois), dann wird deutlich, wie weit Wright in der Weiterentwicklung bereits verwendeter Themen am Martin House gegangen ist. Das Winslow House stand in seiner Zweigeschossigkeit, straffem Umriss und symmetrischem Gesamtaufbau noch in deutlich italianisierender Villentradition. Auf der Gartenseite ist das Haus dagegen partiell ins Asymmetrische aufgelöst, was der Trennung in öffentlich und privat bzw. städtisch und ländlich entspricht. Diese unter die Begriffe monumental versus malerisch subsumierbaren Gegensatzpaare sind bestimmend für die gehobene, suburbane Wohnhausarchitektur der zweiten Jahrhunderthälfte, nicht nur in den USA.(1) Bereits das Winslow House wird durch ein allerdings eindeutigeres Achsensystem bestimmt. Übergeordnet ist die zentrale Mittelachse, über die der Zugang von der Straße inszeniert wird. Die Raumfolge Straße - Vorplatz mit Pflanzbecken - Freitreppe mit Eingang - Reception Hall - Freitreppe mit Arkatur zelebriert diesen Eingang, der aber nicht, wie zu erwarten wäre, in einen axial liegenden, rückwärtigen Gartensaal führt, sondern am Kamin endet, dem eindeutigen Zentrum des Hauses. Die Haupträume des Repräsentationsgeschosses ordnen sich um diesen Mittelpunkt, in den Mittelachsen öffnet sich der massive, geschlossene Hauskörper über unterschiedlich geformte Standerker nach außen. Untergeordnet ist die seitliche Zufahrt mit der gedeckten Vorfahrt (Porte Cochere), von der aus ein Nebeneingang zum Treppenhaus in die privaten Obergeschossräume führt.

 Abb. 4: Winslow House. in der Mittelachse liegende Reception Hall mit Freitreppe und Kaminpodest.

Die Weiterentwicklung des Martin Houses bestand nun darin, die Thematik des Achsensystems und der Ordnung um den Kamin aufzugreifen und an einen Punkt zu treiben, bei der durch Eigengesetzlichkeit Bekanntes in Neues transformiert wurde. Dabei wird hier Unvorhergesehenes, das bislang mit dem irrational Malerischen konnotiert war, quasi mit dem Mittel des Monumentalen, der Achse, erzielt. In seiner Komplexität ist das Haus mit rationalen Mitteln nicht unmittelbar erfassbar, erschließt sich selbst nicht bei mehrmaligem Durchschreiten. Erst intensives Planstudium führt zum Verständnis, wobei fasziniert, dass nichts unlogisch oder nicht nachvollziehbar ist. Der Zufall ist ausgeschaltet, das Überraschende wird aus Kombination, Überlagerung und formalen Transformationen gewonnen. Monumentalität ist ins Gegenteil umgeschlagen, ohne dabei Konzessionen an malerisch Komponiertes zu machen: nicht pittoresker Antimonumentalismus. Das Martin House ist aber auch eines am Scheideweg, denn bei späteren Präriehäusern Wrights wie beispielsweise dem Robie House (1908-10, Chicago/Illinois) ist die Formalisierung zurückgenommen, sie wirken reifer und routinierter, haben aber an Radikalität und Prägnanz verloren. Es scheint, dass es F. L. Wright immer besser gelungen ist, die Elemente des Neuen wie Betonung der Horizontalität, Verknüpfung von Baukörpern entlang von Achsen oder die Auflösung der Wände zu tatsächlich wohnlichen Formen zu ordnen. Denn eine gewisse Unbewohnbarkeit oder fehlende Funktionalität zeigen sich beispielsweise an den ständigen Bewegungswechsel im Martin House, die sich exemplarisch am Zugang von der Zufahrt ins Haus über mehrere Ecken zeigen.
Der stark formalisierende Aspekt des Martin Houses hat dazu geführt, dass beispielsweise Peter Eisenman in seiner 1963 erschienenen Dissertation das Gebäude ausführlich besprochen hat, in dem er ein Schlüsselwerk zum Verständnis der Moderne sah.(3) Sein Interesse an dem Gebäude erklärt sich aus seinem damaligen Bemühen, in Architektur eine universale Sprache zu sehen, die unabhängig von Historizismen aus formalen, geometrisch-syntaktischen Beziehungen besteht. Diese Beziehungen sind von subjektivem Ausdruck gereinigt und können auch nicht durch Überlegungen zu Funktion, Bedeutung oder Wahrnehmung verstanden werden. Zentrales Erkenntnismoment ist die Form, deren spezifische wie allgemeine Merkmale als Grundlage architektonischer Erfindung und Komposition gesehen werden. So werden in seiner Analyse die Einzelelemente des Hauses als Abfolge geometrisch-struktureller Permutationen dargestellt.

Folgt man dagegen Interpretationen, die mehr auf die Bedeutungs- oder Wahrnehmungsebene des Gebäudes abzielen, dann wird das Haus zu einem frühen Vertreter des Präriehauses im Zusammenhang einer längeren Entwicklungsreihe. Beispielsweise hat Kenneth Frampton betont, dass im Martin House zugleich die Emanzipation von Europa wie ein spezifisch amerikanisches Maschinenzeitalter zum Ausdruck komme, das mit Elementen des Exotismus, hier vor allem des Japanismus angereichert wurde. Dies sei dem für den in der Tradition der Chicago School stehenden Lloyd der neuen Zeit mehr entsprechend gewesen als der überlebte europäische Akademismus.(4) Auch spielte die Idee des Gesamtkunstwerks als Einheit aus Architektur und Ausstattung in der Tradition des Arts and Crafts Movements eine Rolle. In der Tradition amerikanischer Naturromantik eines Walt Whitman verherrlichen die Präriehäuser die natürliche ruhige Schönheit der Weite des Mittleren Westens, was insbesondere in den schützenden Überhänge, niedrigen Terrassen, ausgreifenden Wände sowie abgesonderte Gärten zum Ausdruck komme.

GUARANTY BUILDING (Adler&Sullivan)

Das 1894/95 für eine Versicherungsgesellschaft errichtete Gebäude stellt in der Entwicklungsgeschichte des Chicago Skyscrapers einen Meilenstein dar.(5) Erstmals sind selbst im Dekor alle Relikte des Historismus abgestreift, wenn auch der dreiteilige Gesamtaufbau in Sockelzone, Fassade und Dachzone dem Modell der in Basis, Schaft und Kapitell gegliederten antiken Säule folgt. Der dreizehngeschossige Bau hat auf seiner Hauptseite oberhalb der Sockelzone zwölf eng durch aufsteigende Pilasterbahnen artikulierte Achsen, die nach oben durch die in den 1890er Jahren oft verwendete Bogenstellung abgeschlossen werden. Die stehenden Einzelfenster sowie die mit Terrakottaplatten verkleideten Brüstungsplatten sind zurückgesetzt. Die Dachzone wird stark durch die Reihung aus Rundfenstern sowie ein voutenartig vortretendes Dachgesims akzentuiert, die den Zug ins Vertikale abrupt abbremsen. Durch den Willen zur starken Betonung der Senkrechten bildet sich das deutlich weitmaschigere Stahlskelett nicht nach außen ab. Im Dekor wird dagegen die Tektonik, die hier eine scheinbare ist, betont. Die Konstruktion wird verziert anstelle der bislang weit verbreiteten konstruierten Verzierung. Beinahe in Art einer Tätowierung wird das Gebäude mit dekorativ-graphischen Terrakottaplatten überzogen, deren Formensprache außereuropäische Entlehnungen aufweist, aber einen völlig eigenständigen Charakter hat. In dieser Textilität kann man eine spezifisch amerikanische Interpretation der Semperschen Architekturtheorie von innerer Konstruktion und vorgehängter Hülle bzw. 'Kern' und 'Stilhülse' sehen.(6)
 Abb. 5: Guaranty Building.

(1) Zum Gegensatzpaar malerisch-monumental siehe vor allem Brönner, Wolfgang: Die bürgerliche VIlla in Deutschland, 2. Aufl., Worms 1994. Zur Entwicklung im frühen 20. Jahrhundert, die in Deutschland vor allem mit Landhausarchitektur und dem Traditionalismus um 1910 verbunden ist, siehe vor allem Posener, Julius: Berlin auf dem Weg zu einer neuen Architektur 1889-1918, Berlin 1979. Neuere Einblicke in die mitteleuropäische Entwicklung bieten vor allem Stalder, Laurent: Hermann Muthesius (1861-1927). Das Landhaus als kulturgeschichtlicher Entwurf, Zürich 2008, sowie Ehmann, Arne: Wohnarchitektur des mitteleuropäischen Traditionalismus um 1910 in ausgewählten Beispielen; Betrachtungen zur Ästhetik, Typologie und Baugeschichte traditionalistischen Bauens, Diss., Hamburg 2008. An den hier besprochenen Beispielen wird das Auseinandertreten der europäischen und amerikanischen Entwicklung deutlich.
(2) Posener, Julius: Frank Lloyd Wright I. In: Archplus 48 (1979), S. 32-37, hier S. 35.
(3) Eisenman, Peter: Die formale Grundlegung der modernen Architektur (deutschsprachige Ausgabe), New York/Zürich 2005 (=Studien und Texte zur Architekturtheorie, hrsg. von Werner Oechslin), S. 164 und 169-181.
(4) Frampton, Kenneth: Die Architektur der Moderne. Eine kritische Baugeschichte, Stuttgart 1983, S.53f.
(5) Zur Entwicklung des Chicago Skyscrapers siehe auch Stadtlektüre - New York 7. Grundlegend ist Klotz, Heinrich: Das Chicagoer Hochhaus als Entwurfsproblem. In.: Zukowsky, John (Hrsg.): Chicago-Architektur 1872-1922. Die Entstehung der kosmopolitischen Architektur des 20. Jahrhunderts [Ausst.-Kat.], München 1987, S. 59-77. Dabei bezieht er sich auf George Kublers Theorie von der Autonomie künstlerischer Probleme, die sich in formalen Sequenzen bzw. Entwicklungsreihen zeigt. Vgl. Kubler, George: Die Form der Zeit. Anmerkungen zur Geschichte der Dinge (engl. Ausgabe: The shape of time. Remarks on the history of things, New Haven/London 1962), Frankfurt/Main 1982. 
(6) Frampton, Kenneth: Grundlagen der Architektur. Studien zur Kultur des Tektonischen, München/Stuttgart 1993, S. 99-127.

Abbildungsnachweis:
Abb. 1: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/76/Buffalo_Panorama_1911.jpg
Abb. 2: Fotos des Verfassers, Juli 2009.

Abb. 3: Umzeichnung durch den Verfasser. Grundlage: http://lcweb2.loc.gov/cgi-bin/displayPhoto.pl?path=/pnp/habshaer/ny/ny0200/ny0203/sheet&topImages=00003a.gif&topLinks=00003r.tif,00003a.tif&title=&displayProfile=0
Abb. 4.: http://en.wikipedia.org/wiki/File:Entrance_Hall_-_William_H._Winslow_House,_Chicago,_IL_.jpg
Abb. 5: Fotos des Verfassers, Juli 2009.

Weblinks:
http://www.darwinmartinhouse.org/
http://en.wikipedia.org/wiki/Prudential_%28Guaranty%29_Building_%28Buffalo,_New_York%29

Literaturauswahl:
Eisenman, Peter: Die formale Grundlegung der modernen Architektur (deutschsprachige Ausgabe), New York/Zürich 2005 (=Studien und Texte zur Architekturtheorie, hrsg. von Werner Oechslin), S. 168-181.
Frampton, Kenneth: Die Architektur der Moderne. Eine kritische Baugeschichte, Stuttgart 1983, S.46-56.
Frampton, Kenneth: Grundlagen der Architektur. Studien zur Kultur des Tektonischen, München/Stuttgart 1993, S. 99-127. (Kapitel 4 Frank Lloyd Wright und die text-tile Tektonik).
Klotz, Heinrich: das Chicagoer Hochhaus als Entwurfsproblem. In.: Zukowsky, John (Hrsg.): Chicago-Architektur 1872-1922. Die Entstehung der kosmopolitischen Architektur des 20. Jahrhunderts [Ausst.-Kat.], München 1987, S. 59-77.

Montag, 6. Dezember 2010

Reiseleiter

Versuch eines Kompendiums zum Besuch fremder Städte

1. Studiere vor der Reise Stadtbeschreibungen. Lies Bücher, in denen die Stadt eine Rolle spielt. Mache Pläne für deine Reise, studiere aber keine. Auch keine Führer.  
2. Betrete die Stadt ohne Karte. Ein Google Earth-Ausdruck genügt zur groben Orientierung.
3. Lass dich treiben. Flaniere nicht, sondern schweife ziellos umher. Beherzige dabei aber stets die Verlorenen Gegenstände in Walter Benjamins Einbahnstraße:
Was den allerersten Anblick eines Dorfes, einer Stadt in der Landschaft so unvergleichlich macht, ist, dass in ihm die Ferne in der strengsten Bindung an die Nähe mitschwingt. Noch hat die Gewohnheit ihr Werk nicht getan. Beginnen wir erst einmal uns zurechtzufinden, so ist die Landschaft mit einem Schlag verschwunden wie die Fassade eines Hauses, wenn wir es betreten. Noch hat diese keine Übergewicht durch die stete, zur Gewohnheit gewordene Durchforschung erhalten. Haben wir einmal begonnen, im Ort uns zurechtzufinden, so kann jenes früheste Bild sich nie wieder herstellen.
4. Schaue nicht auf Gebäude, sondern auf Platz, Straße oder Park. Blicke denen, die dir begegnen in die Augen und achte auf das, was sie tun.
5. Lass dich gefangen nehmen vom Leben der Stadt.
6. Je fremder dir die Stadt zu Beginn ist, desto eigener wird sie dir später. Es ist wie mit dem Gesicht einer schönen Frau. Je vertrauter es dir wird, desto mehr Facetten wird du sehen.
7. Studiere erst nach deinem Aufenthalt Reiseführer. Informiere dich über die Besonderheiten und Sehenswürdigkeiten. Ärgere dich darüber, was du nicht gesehen hast und freue dich an dem, was du statt dessen gesehen hast.
8. Lies jetzt alles, was du über die Stadt finden kannst.
9. Besorge dir Karten und Pläne. Historische und aktuelle. Zeichne die Stadt. Wie sie war und wie sie ist. Verstehe ihr Wachstum oder ihr Schrumpfen.
10. Kehre zurück und betreibe Feldforschung. Erst jetzt werden Gebäude als Behälter des Lebens wichtig.


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Sonntag, 5. Dezember 2010

Stadtlektüre - New York 8

-TYPEN:5/skyscraper2/volumes-

Die Konsequenz aus der New York City 1916 Zoning Resolution war die Entstehung eines neuen Skyscrapertyps aus dem Geist behördlicher Technokratie und des Investoreninteresses nach maximaler Raumausnutzung. Die Vorschrift besagte mathematisch genau berechnete Rücksprünge ab einer gewissen Höhe, oberhalb der Rücksprünge war auf 25% der Grundfläche eine maximale Höhe möglich.
"Ist Manhattan ursprünglich nur eine Ansammlung von 2.028 Blocks gewesen, so ist es nun eine Ansammlung ebenso vieler unsichtbarer Umrisse".(1) Wieder steht keine Architekturdoktrin oder Theorie am Beginn. Schrittweise werden die Potentiale der Einschränkungen erprobt und seit den 1920er Jahren treten auch Architekten wie Raymond Hood oder Ralph Walker auf, die nun erstmals überregionale Bedeutung und Autorencharakter für sich beanspruchen können. Aber das Neue wird nicht aus genialem Einfall geschaffen, sondern durch vorbehaltloses Akzeptieren der gesetzten Umstände. Die Bauten verlassen aber auch den Bereich des Typischen und gewinnen Individualität, Besonderes ist aus im Allgemeinen wirkenden Triebkräften und Bedingungen entstanden.
Mit dem Illustrator Hugh Ferriss fand sich ein Zeichner, der durch seine atmosphärischen Kohlezeichnungen die architektonischen Potentiale der Verordnung adäquat und wirkungsvoll propagieren konnte. Insbesondere die Wirkung der Baumassen ließ sich durch diese Technik eindrucksvoll darstellen. Wirkten die Skyscraper der ersten Generation gegenüber Chicago noch zweitrangig, so entsteht jetzt eine völlig neue Architektur mit eigenem Ausdruck, der von hier aus ins Land ausstrahlt, selbst wenn anderswo keine baulichen Einschränkungen herrschen.

Abb. 1:
Theoretischer Umriß eines Gebäudes nach dem Zoning Law zwischen Municipal und Woolworth Building.
Zeichnung von Hugh Ferriss.

Schwerpunkt der zweiten Generation des New York Skyscrapers war Midtown Manhattan, was sich mit einer partiellen Bedeutungsverlagerung hin zu diesem Areal verband. Ein zweiter Hochhauscluster neben dem Wall Street Viertel entstand in der Mitte der Halbinsel.
Eines der ersten Gebäude der neue Ära, das Bush Terminal Sales Building (1916-18, Arch.: Helmle & Corbett, 146m), stand noch deutlich in der Tradition des Woolworth Buildings. Auf einer für die damaligen Verhältnisse kleinen Grundstückfläche, nur wenig breiter als die Parzelle eines Rowhouses, steigt der in die Grundstückstiefe entwickelte Baukörper in fein vertikalen Linien auf, bevor der obere Teil sich zuerst an den Ecken abtreppt, um dann nur im letzten Geschoss zurückzuspringen.
Der erste wirkliche Wolkenkratzer auf Grundlage des neuen Gesetzes war das Heckscher Building (1922, Arch.: Warren & Wetmore). Die neuen Vorschriften des Zoning Laws wurden hier noch mechanisch angewandt. Der in seiner Massenwirkung noch etwas ungelenk wirkende Baukörper besteht aus additiv gefügten, aufeinander gestapelten Blöcken. Die Außenachsen der Fassaden sind als eingestanzte Löcher ausgebildet, während die Mittelteile in Vertikalbahnen aufsteigen. Der obere Abschluss als Laterne steht noch in historistischer Tradition.
Ab Mitte der 1920er Jahre wurden die die Potentiale des Zoning Laws deutlicher, so am Barclay-Vesey Building (1926, Arch.: McKenzie, Voorhees & Gmelin Architects, 152m), wenn auch hier der Baukörper noch als massiv aufsteigender Block auf schwach gerichteter rechteckiger Grundfläche ausgebildet ist. Der Bau ist auf allseitig plastische Wirkung der zentralsymmetrisch aufgebauten Baumassen hin konzipiert. Die aufsteigenden Vertikalbahnen sind kräftig akzentuiert und enden im oberen Turm in voluminös geschichteten, zinnenartig plastischen Abschlüssen.

Abb. 2:
American Radiator Building.

Ganz von wirkungsästhetischen Überlegungen im Dienste der Corporate Identity bestimmt ist das American Radiator Building (1924) von Raymond Hood. Durch die Verwendung dunkler, beinahe schwarzer Verblendungsziegel und goldenen, zinnenartigen Abschlüsse der kräftig aufsteigenden Vertikalbahnen bekommt der Bau starke atmosphärische Dichte. Typisch ist die pyramidal abgetreppte Form des Baukörpers. Das vom gleichen Architekten stammende, 1932 fertiggestellte McGraw-Hill Building zeigt erste Einflüsse des International Style auf den bislang in den Einzelformen noch vom Art Deco geprägten Skyscraper. Anleihen der aus Europa importierten neuen Sachlichkeit mit ihrer Betonung der Horizontalen zeigen sich an den optisch durchlaufenden Fensterbändern. 

Videostream: King Kong erklimmt das EmpireState Building.
 
 Im riesenhaften Turm der Zeit um 1930 zeigt sich die überhitzte, von Spekulation geprägte Atmosphäre um den Börsencrash des Oktobers 1929, in dem ein Wettlauf um das höchste Haus der Welt entbrannte. Das Chrysler Building (1930, Arch.: William van Alen) und das Empire State Building (1931, Arch.: Shreve, Lamb&Harmon) sind die beiden bekanntesten Skyscraper der Ära, die allerdings erst während der Great Depression fertig gestellt wurden. Bei beiden Gebäuden wirkt die Vertikale durch exorbitante Höhe, die Abtreppungen nehmen hier eher den Charakter einer feinplastischen Gliederung an. In der dekorativen Spitze des Chrysler Buildings spiegelt sich die Warenästhetik des Automobils als neuem Massenprodukt, während das Empire State Building durch seine schiere Größe Bedeutung erzwingt, der auch etwas Monotones anhaftet.

Abb. 3:
Axonometrie des Rockefeller Centers. 

Krönender Abschluss der zweiten Generation des New York Skyscrapers ist der zwischen 1932 und 1939 entstandene Baukomplex des Rockefeller Centers (Arch.: Raymond Hood), in dem man den monumentalen Geist des New Deals der 1930er Jahre sehen wird.(2) Erstmals wird nicht nur ein einzelnes Gebäude errichtet, sondern ein Hochhausensemble aus aufeinander bezogenen Einzelbauten, die um eine Plaza und einen zentralen, siebziggeschossigen Turm organisiert sind und daher eine starke städtebauliche Wirkung entfalten. Radio City für die die Radio Corporation of America und ihre Schwestergesellschaften NBC und RKO. Eine Stadt der Illusion und Zerstreuung in der Krise. Eine Stadt der Türme in der Stadt der Blöcke. Auf der Fläche von acht Blocks entstanden insgesamt 14 Gebäude, die bis in Ausstattung und Kunst am Bau aufeinander bezogen sind. Die Einzelbauten entwickeln sich auf längsrechteckigen Grundrissen, die eine optimale Besonnung der Innenräume garantieren. Dadurch erhalten die Häuser eine scheibenartige Anmutung, in die kaskadenartig Abtreppungen eingeschnitten sind. Auf kurzer Seite wird die Vertikale durch aufsteigende Fensterbahnen betont, während auf die längeren Seiten flächig sind. Die Verkleidung mit hellem weißen Kalkstein unterstreicht die aufgelöste Massenwirkung.

(1)  Koolhaas, Rem: Delirious New York. Ein retroaktives Manifest für Manhattan, 2. deutsche Auflage, Aachen 2002 (=Arch+ Buch 1), S. 107.
(2) Frampton, Kenneth: Die Architektur der Moderne. Eine kritische Baugeschichte, Stuttgart 1983, S.190..

Abbildungsnachweis:
Abb. 1: Ferriss, Hugh: The Metropolis of Tomorrow, New York 1929. In: Koolhaas, 2002, S. 109.  

Abb. 2: http://www.nyc-architecture.com/MID/MID068.htmhttp://www.nyc-architecture.com/MID/MID068.htm
Abb. 3: http://www.greatbuildings.com/cgi-bin/gbc-drawing.cgi/Rockefeller_Center.html/Rockefeller_Center_Axo.jpg 


Weblinks:
http://www.bc.edu/bc_org/avp/cas/fnart/fa267/20_sky1b.html


Literaturauswahl:
Frampton, Kenneth: Die Architektur der Moderne. Eine kritische Baugeschichte, Stuttgart 1983, S.188-191.
Stern, Robert A. M.: Die Erbauung der Welthauptstadt. In: Klotz, Heinrich (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit Luminita Saban: New York Architektur 1970-1990 [Ausst.-Kat.], Frankfurt/Main 1989, S. 13-45.

Koolhaas, Rem: Delirious New York. Ein retroaktives Manifest für Manhattan, 2. deutsche Auflage, Aachen 2002 (=Arch+ Buch 1), S. 108-249.